Nicht wundern, wenn es dieser Tage so ruhig um mich ist. Ich bin nicht in Schockstarre verfallen. Oder einem Hirnschlag erlegen. Ich hab einfach nur Corona-bedingt viel Arbeit um mich rum. Sehr viel Arbeit. Seit Ferienende arbeitet die Schule auf Hochtouren, um der neuen Situation mehr und mehr gerecht zu werden und so etwas wie Unterricht zu ermöglichen. Aus der Notlösung bis zu den Osterferien ist etwas Längerfristiges geworden. Etwas Unabsehbares. Und diesem Zustand wollen und müssen wir Rechnung tragen. In so einer Zeit machen Artikel, die Schulen und das dazugehörige Kollegium mal pauschal ohrfeigen, in denselben Topf werfen und ein paar mal draufschlagen, genau das Richtige, um seine Laune nach einem 14-Stunden-Tag zu heben. Denn wir dieser Tage etwas NICHT machen, dann faul auf unseren verbeamteten Hintern zu sitzen. Es gilt alle zufrieden zu stellen. Und alle wollen etwas anderes:
- Wir haben Eltern, die Videokonferenzen wollen.
- Wir haben Eltern, die keine Videokonferenzen wollen. – wegen des Datenschutzes
- Wir haben Eltern, die Videokonferenzen wollen – aber nur über etwas Datenschutzkonformes.
- Wir haben Eltern, die Videokonferenzen wollen – aber nur über Zoom, weil das die Kinder ohnehin schon installiert haben.
- Wir haben Eltern, die überhaupt keine Videokonferenzen wollen, weil die Kinder sonst den halben Tag den einzigen PC im Haushalt belegen.
- Wir haben Eltern, die überhaupt keinen PC im Haus haben.
- Wir haben Eltern, die über zu viel Abwechslung klagen.
- Wir haben Eltern, die über zu wenig Abwechslung klagen.
- Wir haben Eltern, die absolut zufrieden sind so wie es ist.
- Wir haben Eltern, die sich vor Lob überschlagen.
- Wir haben Eltern, die über das zu hohe Pensum klagen.
- Wir haben Eltern, die über das zu geringe Pensum klagen.
- Wir haben Eltern, die uns mal eben eine digitale Ablage programmieren, um die Mebis-Abstürze abzufangen.
- Wir haben Klagen über zu wenig Mebis.
- Wir haben Klagen über viel zu viel Mebis.
- Wir haben Klagen über den Zusammenbruch von Mebis.
- Wir haben Schüler, die sofort begeistert online sind.
- Wir haben Schüler, die zu keiner Konferenz auftauchen.
- Wir haben Schüler, die brav Mebis nutzen und Aufträge abgeben.
- Wir haben Schüler, die Mebis gelegentlich nutzen.
- Wir haben Schüler, die Mebis kein einziges Mal nutzen.
- Wir haben Schüler, die Kollegen bei Online-Problemen helfen.
- Wir haben Kollegen, die nebenher einen eigenen Jitsi-Server auf die Beine stellen – DSGVO-konform und auf eigene Kosten.
- Wir haben Kollegen, die zu zweit mit einem tatkräftigen Schülervater eine WebEx Domain aufsetzen und über die kompletten Osterferien alle interessierten Kollegen und Klassen an Bord holen. Es werden knapp 600 werden. Einfach mal nebenher.
- Wir haben Kollegen, die Schülern bei Online-Problemen helfen.
- Wir haben Kollegen, die im Klassenteam bereitwillig alle Schüler abtelefonieren und fragen, wie es ihnen geht.
- Wir haben Kollegen, die gerne Videokonferenzen halten wollen.
- Wir haben Kollegen, die ungern Videokonferenzen halten wollen, weil sie ungern ihr Gesicht in eine Kamera halten.
- Wir haben Kollegen, die Videokonferenzen halten wollen, aber nur über Zoom/Skype/MS Teams
- Wir haben Kollegen, die von zuhause mit Kleinkind auf dem Arm ihre Stunden machen, weil es gerade nicht anders geht.
- Wir haben Kollegen, die ihre Privatnummern für Kummersprechstunden ausgeben.
- Wir haben Kollegen, die sich in Windeseile die nötige Hardware für Videokonferenzen zulegen.
- Wir haben Kollegen, die sich in Windeseile in Mebis fortbilden.
- Wir haben Kollegen, die alle Klassen vorsorglich auf Mebis holen.
- Wir haben Kollegen, die für Klassen und Kollegen Sportstunden aus ihrem heimischen Wohnzimmer streamen, um Monotonie vorzubeugen.
- Wir haben Kollegen, die zum ersten Mal in ihrem Leben Lernvideos aufnehmen.
- Wir haben Kollegen, die die für Eltern und Kollegen Lernvideos drehen.
- Wir haben Kollegen, die Eltern in Videosprechstunden stundenlang die Möglichkeiten des Videoconferencing erklären.
- Wir haben Kollegen, die einfach machen.
Und ich bin Teil davon.
Ich gebe mein effing best.
Wir geben unser effing best.
6 Comments
Maik Riecken
Die Presse stellt teilweise Schuhe hin, die den Engagierten unter den Lehrkräften nicht passen. Ratschlag: Nicht anziehen!
Aus Elternperspektive mit direkten Blick auf die Arbeit von fast 40 Kolleg*innen und als Medienberater mit Blick auf noch einige mehr:
Es gibt sie, die mit leerem, schlaflosen Blick zur Beratung kommen und Hilfe zu einem Gerät wollen. Es gibt aber auch andere. Und mal ehrlich: Wie gehen wir intern als Schulsystem mit diesen “anderen” um? Kritisieren wir das gegenüber Außenstehenden? In der Wahrnehmung von einigen Gruppen sind diese anderen die Mehrheit. Daher kommt es zu solchen Artikeln.
Ich vertraue darauf, wie meine Kolleg*innen und ich in der Region wahrgenommen werden und höre da genau hin. Was in Zeitungen steht, kommt als Gefühl irgendwo her. Darüber sprechen wir selten mit Externen. Und daher kommt für Außenstehende vielleicht manchmal der Eindruck von “Klüngel” auf.
Pass auf dich auf und verkomme nicht zur Korrekturmaschine!
Gruß,
Maik
herrmess
Ich danke dir! Ich finde es nur etwas unangenehm, wenn solche Schwingungen auf diese Weise großes Gehör finden, wenn man als Betroffener beim Lesen dann doch merkt, dass da weder genug Recherche betrieben noch ausreichend differenziert wurde. Wenn die Unternehmen gerade aktuell auf absoluter Sparflamme laufen und Milliardenverluste einfahren, ist das ok. Aber wenn wir auf ein Notprogramm runterfahren, geht das Abendland unter…
Hauptschulblues
Ja, die Meinung: Bloß nicht auffressen lassen von der langen Liste und den kollegialen Erwartungen. Distanzieren. Was nicht geht geht nicht.
herrmess
Ist wohl ein langsamer Lernprozess 😉 Zumindest bei mir
Liv
Danke!
Für diesen Text und für die Arbeit und das Engagement, das du und die meisten anderen Lehrer gerade an den Tag legen.
herrmess
Ich danke dir!