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Was fürs Herzerl: Zum International Day of Happiness

Es sind die letzten Tage vor Ostern in der Schule. Die letzte Marge an Schulaufgaben ist geschrieben, die Kinder wie auch Lehrer geschafft von den Strapazen der letzten Wochen: Informationsveranstaltungen für die Eltern der kommenden Fünftklässler des nächsten Jahres, Generalproben für unser Frühlingskonzert, dann zwei abendliche Aufführungen und zuletzt der Tag der offenen Tür haben bei allen Tribut gefordert und zusammen mit der anhaltenden Grippewelle einigen gut an den Kraftreserven gesaugt. Wir können alle eine Pause gebrauchen. Und auf die freuen wir uns. Vor allem die Kinder. Denn am Dienstag vor den Ferien findet bei uns an der Schule die Osterhasenjagd statt. Schüler können ihren Freunden und Lehrern eine kleine Freude machen und ihnen gegen einen kleinen Obulus einen Schoko-Osterhasen mit einer persönlichen Widmung zukommen lassen. Wir Lehrer stehen der eigentlich gut gemeinten Aktion schon seit Jahren ein bisschen zwiespältig gegenüber, weil es dabei immer regelmäßig Ärger gibt. Zumindest für uns Klassleiter. Denn die Anzahl der Schokohasen, die jemand an diesem Tag erhält, geben einen Abbild des Klassengefüges wieder. Wer leer ausgeht, an den wurde ganz offensichtlich nicht gedacht. Und das ist für jedermann zu sehen. Aber wir ertragen das Procedere. Es ist ja nett gemeint. Und so laufe ich am Dienstag vor den Ferien in das Klassenzimmer meiner Kleinen ein, das von Gold- und Silberpapier nur so glitzert. Überall stehen die Häschen, die die Schüler natürlich dekorativ direkt vor sich auf den Tisch gestellt haben. Immerhin will man ja zeigen, was man (bekommen) hat. Nur der kleine Tim in der ersten Reihe ist komplett leer ausgegangen. Er ist ein bisschen eigen und der Klasse deswegen ein bisschen unheimlich. Er ist derjenige, der seine Stifte mal nach Farbe, mal nach Größe ordnet, seinem Sitznachbarn mit einem Rotstift den Rand im Heft nachzieht, um ihm anzuzeigen, dass man hier nicht mehr schreiben darf; oder Klassenkameraden darauf hinweist, wenn der Stuhl nicht richtig rangeschoben ist und den Tafeldienst für schlampiges Arbeiten kritisiert. In 30 Jahren wäre Tim ein fantastischer Bürokrat und Beamter. Aber in diesem Jahr ist er halt einfach Tim. Der am heutigen Tag ohne Osterhasen nach Hause geht. Aber das macht ihm nichts aus. So sagt er zumindest. Dass er vor Stundenbeginn bei mir deswegen extra ans Pult tritt, um mir das zu erklären, beweist leider das Gegenteil. “Alle haben einen Osterhasen bekommen, nur ich nicht. Aber das macht nichts”, erzählt er mir mit einem unsicheren Lächeln im Gesicht, den Blick aber starr durch mich durchgerichtet. Als ich versuche, mit ihm Augenkontakt aufzunehmen, dreht er sich hastig weg und verschwindet mit einem “wie immer halt” an seinen Platz. Er ist dieses kleine Sätzchen, das mir das Herz zerreißt. Und das so, dass ich in der nächsten Stunde das mit meinem Latein-Oberstufenkurs bespreche. Die kennen mich seit nunmehr sieben Jahren und genießen deswegen das Privileg, dass ich ihnen ab und zu auch einfach mein Herz ausschütten kann. Und die sind von der Aussage des kleinen Tims mindestens genau so betroffen wie ich. Vor allem Maria aus der zweiten Reihe, die in der SMV seit Jahren tätig ist und nun auch einmal hautnah mitbekommt, was eine so gut gemeinte Aktion von ihnen eigentlich anrichten kann.
Lisa, ihre Sitznachbarin, ist schon ganz am Boden zerstört. “Ist das traurig. Man müsste ihm allein dafür schon einen Hasen schenken.” Da stutzen wir alle. Warum eigentlich nicht? In Windeseile ist eine Spitzenaktion ins Leben gerufen: Wir verschaffen uns über Maria Zugang zum SMV-Zimmer, um die Widmungszettel zu holen, die auf jedem Osterhasen angebracht sind, ich spendiere aus dem Lehrerzimmer einen meiner drei Schokohasen, die ich geschenkt bekommen habe, und wir unterschreiben auf dem Zettel für den kleinen Tim. Alle 15 Kursteilnehmer. Ich bin ganz gerührt, wie völlig selbstverständlich das für meine Oberstufe ist. Da reift eine ganz wunderbare Generation heran. Und natürlich auch ein hervorragender Bürokrat und Beamter, der morgen nun doch einen Schokohasen auf seinem Platz vorfinden wird 🙂

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9 Comments

  • Jemand_anders

    Als Mutter eines kleinen Tims überkommt mich beim Lesen dieses Postings eigentlich nur Wut. Wut bei der Vorstellung, mein Kind Jahr für Jahr, acht Jahre lang dieser exquisiten “Keiner-mag-dich”-Quälerei aussetzen zu müssen an einem Ort, wo es gesetzlich verpflichtet ist, hinzugehen.
    Wut, dass Schulen Kindern so etwas antun. Toll, Maria aus der zweiten Reihe hat jetzt in der Oberstufe endlich genug Empathie um zu merken, was sie angerichtet hat. Was ist mit euch Lehrern mit eurer Lebenserfahrung? Ihr lasst die Schüler gewähren, weil’s ja so herzig ist und so nett. Freuen sich ja alle so sehr. Also außer die Außenseiter. Die ein bißchen seltsam sind. Vielleicht Autisten. Vielleicht irgendwie anders behindert. Auf jeden Fall komisch.
    Wenn man sich aufregt darüber, dass heute schon 11jährige Kinder wegen Depressionen in Behandlung sind und Suizid-Versuche unternehmen, dann könnte man sich ja auch mal überlegen, was solche Aktionen (zusammen mit keine Freunde haben, bei allen Einladungen übergangen werden, in der Pause immer allein rumstehen usw.) damit zu tun haben. In meiner Schulzeit hat es sowas übrigens nicht gegeben.

  • Elisabeth Merz

    Herr Mess hat doch in seinem Artikel explizit erklärt, dass das Kollegium diese Aktion zwiespältig betrachtet? Und was sollen Lehrer machen, den SchülerInnen gleich alle Aktionen verbieten, bei denen sich der deutlich größere Teil einfach über das Geschenk freut?! Sorry, das wäre Sozialismus. Und ich bezweifle vehement, dass es früher keine Außenseiter gab- die gibt es (leider) in jeder (Schul-)gesellschaft. Ich finde, es zeichnet Herrn Mess und seinen Kurs aus, dass sie sich Gedanken gemacht und eine Lösung für den Kleinen gefunden haben.

  • pimalrquadrat

    Eine sehr schöne Reaktion des Kurses! 🙂
    Ja, solche Aktionen können problematisch sein. Dann, wenn sich der Wert des Schülers nur daran bemisst, wie viele Hasen/Valentinsrosen/whatever ersiees am jeweiligen Tag erhalten hat. Da haben es manche Schüler schon schwer, wenn sie – manchmal über Jahre hinweg – leer ausgehen.
    Nur: Was unterscheidet solche Aktionen von den Markenklamotten, die sich manche Schüler bzw. deren Eltern leisten, und andere nicht? Wie sieht es mit dem Smartphone aus, wenn manche Kinder schon in der Grundschule das neueste und teuerste Gerät haben und andere keins oder das alte der Eltern?
    Wenn man solche Verletzungen vermeiden möchte, dann muss man letztlich auf Einheitsmacherei bestehen, und selbst das hilft nicht, denn dann sind ja noch die ganzen außerschulischen Sachen wie Geburtstage und co. Das kann aber auch nicht Sinn der Sache sein.
    So hart es klingt, aber das Leben ist kein Zuckerschlecken. Niemand wird wirklich von allen gemocht, und ja, manche Kinder haben es schwerer als andere. Die Frage ist, wie damit umgegangen wird, und welchen Ausgleich es außerhalb der Schule gibt. Stimmt da der Rahmen, lassen sich diese alltäglichen Stiche leichter ertragen.
    Zu meiner Zeit gab es nur die Valentinsrosengeschichte, und als jemand, der nie eine gesehen hat, aber in dessen Klassen auch nie eine landete, habe ich es wahrgenommen als ein Angebot für die, die mutig und verliebt genug waren. Mehr nicht. Dafür stand ich bis zur Oberstufe dennoch oft genug in der Pause alleine rum, sah keine Geburtstagseinladung und war alles andere als eins der angesagten Kinder. Aber noch mal: Das muss man auch nicht. Tim ist, auch wenn er auf den ersten Blick pedantisch wirkt, in Ordnung, wie er ist. Und wenn er noch ein, zwei Jahre braucht, um auch von sich aus auf andere zuzugehen oder von denen aufgrund seiner positiven Eigenschaften geschätzt zu werden, dann ist es so.
    Sorry für den langen und nicht sehr kohärenten Kommentar. 😳

  • Sylana

    Ach ja, auch wenn man seine Schüler ab und zu mal an die Wand klatschen könnte (kein Lehrer kann mir weismachen, das er das Gefühl nicht kennt), letztendlich gibt es dann doch immer wieder Sachen, wo man feststellt, das die genau richtig sind.
    Und bei allem Verständnis für die Mutter eines kleinen Tim – Ausgrenzung ist was Schlimmes, ich stimme ihr da sehr zu. Auch ein von Verhalten her sehr origineller Schüler kann, und sollte jedoch daran arbeiten, zu verstehen, das eben sein Verhalten für andere genau so absonderlich und partiell unverständlich wirkt, wie er eben das Verhalten von denen empfindet, die gemeinhin als Normal durchgehen.

  • Lærari

    Irgendwie ist der Artikel jetzt erst bei mir gelandet: Das finde ich so lieb von deinem Kurs. ❤️ Eine wirklich schöne Idee. Wie hat denn Tim darauf reagiert?
    Das Problem mit der Anzahl an Geschenken = Zeichen für Beliebtheit haben wir natürlich auch. Deshalb wurde im vergangenen Jahr auch nichts mehr am Valentinstag verteilt. Und obwohl ich grundsätzlich die Idee mag, an gewissen Tagen an liebe Menschen zu denken und das in Form eines kleines Geschenks auszudrücken, finde ich das aus Rücksichtnahme auf diejenigen, die eben nichts bekommen, doch besser.

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