• Allgemeines,  Alltag

    Im falschen Film

    Sorry, Leute. Wir müssen reden. Und zwar über Politik. Ich weiß, das nervt. Aber es kann nicht sein, dass wir so in unseren Positionen verharren und uns deswegen irgendwann mal gegenseitig die Kauleiste polieren. Ich verstehe, dass man sich im politischen Diskurs an anderen Strömungen reibt. Das war schon immer so. Nur hat sich der Ton dabei für mich gefühlt komplett verändert. Und zwar nicht zum Guten.

    Am Anfang war das Wort

    Vielleicht liegt’s am fortschreitenden Alter, am Zeitgeist. Vielleicht ist es Einbildung. Aber ich bekomme zunehmend das Gefühl im falschen Film zu sitzen. Der Diskurs in der Politik ist für mich spürbar rauer geworden. Das kommt natürlich nicht von ungefähr. Man muss sich ja nur umblicken und ein paar Jahre zurücksehen: Da saß in den USA auf einmal eine prollige Mixtur aus Misogynie, Narzissmus, Dekadenz und Fremdenfeinlichkeit im verantwortungsvollsten Job der Welt und schleuderte im Minutentakt krude und gelinde gesagt dumme Thesen unter die Massen. Ungefiltert, unzensiert und ohne auch nur einen Gedanken der Reflexion über die möglichen Folgen. So ging es mehrere Jahre lang – bis hin zu diesem skurrilen Debakel am Four Seasons Total Landscaping in Pennsylvania, das an Absurdität nicht mehr zu überbieten war. Man hatte das Gefühl, da krallen sich nicht einfach nur machthungrige Menschen am Thron fest. Sondern schaumschlagende Dummbeutel, die keinesfalls in ein solches Amt gehören. Nur leider scheint das seitdem etwas System zu haben.

    Lernen von Großmäulern

    Populismus funktioniert. Oder er funktioniert wieder. In einer immer komplexeren Welt, die uns aktuell mit einem Gros an Krisen zu überfordern droht, bietet er Simplizität. Man benennt einfach einen Schuldigen, auf den man den Frust abladen kann, und ab geht die Lucy. Pandemie? Von den Chinesen. Schlechte Wirtschaft? Liegt an der EU. Erstarken der Rechten? Liegt am Gendern. Klimawandel? Eine Lüge. Dazu kommt die Unterste-Schubladen-Rhetorik, die zusätzlich Feuer in ein ohnehin schon gefährliches Rezept bringt: Ausdrücke wie “Asyltourismus” kommen in Mode und suggerieren, dass Leute mal eben ihr Leben riskieren und ihre Heimat verlassen, nur um hier ein bisschen Spaß zu haben. Man spricht von einer schweigenden Mehrheit, die sich die Demokratie zurückholen soll – als ob diese Staatsform nur für einen eingeweihten Kreis der Bevölkerung gilt. Ich sehe Transparente auf Demos, auf denen offen aufgerufen wird, Politiker zu hängen. Merkel soll gehängt werden. Scholz auch. Die Grünen in ihrer Gänze auch – solange es noch Bäume gibt.

    Diese Enttabuisierung und absichtliche Erosion und Verrohung der Sprache bekümmert mich als Sprachenlehrer ganz besonders. Das früher Undenkbare aussprechen. Ausprobieren, wie sehr es eskaliert. Und dann beim nächsten Mal nachlegen. Oder das Opfer spielen. Mausrutschen. Sich wie die Geschwister Scholl fühlen, weil man sich als Querdenkerin einer Impfung verweigert. “Volkszorn” heraufbeschwören und damit schön Vokabular bedienen, das aus ganz düsteren Truhen der deutschen Geschichte geborgen wurde – aber es dann natürlich ganz anders gemeint haben.

    Verdruss

    Am Anfang sind es nur Worte, die enthemmen. Aber wie lange bleibt das so? Braucht es wieder ein Zeichen wie die Ausgehetzt-Demos 2018, als die Leute gegen die permanenten verbalen Entgleisungen in der Politik in München auf die Straßen gegangen sind? Oder sind diese Verfehlungen so allgegenwärtig geworden, dass man abstumpft und sie geschehen lässt? Ich persönlich muss sagen, dass ich müde werde. Denn auch im Freundeskreis nehmen die hitzigen Debatten deutlich zu. Man diskutiert nicht, sondern lädt seine Meinung ab. Fällt dem anderen ins Wort. Wird laut, beleidigt. Es geht nicht mehr um eine sinnvolle Auseinandersetzung mit dem Thema. Sondern wer seine Thesen am lautesten brüllt. Und schlimmstenfalls steht einer auf und verlässt die Gruppe. Manchmal für immer. Ist uns tatsächlich so passiert.

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    4.9
  • Allgemeines,  Alltag

    Ruhig hier

    In meinen Messengern ist die Hölle los. Ich werde überflutet von Ferien-Statusmeldungen von Freunden, Bekannten und Kollegen: Bilder vom Strand, Bilder von einer mediterranen Altstadt in Süditalien. Sonnenuntergänge in Griechenland, Snapshots aus London, Bergpanoramen von Mountainbiketouren. Irgendwie hat über die Pfingstferien jeder das Weite gesucht. Nur wir sind da geblieben. Und das ist gut so.

    Denn der Umzug hat ein gutes Loch in den Geldbeutel gerissen und die kompletten Osterferien blockiert. Umso mehr genieße ich nun die Ruhe und die Leere in meinem Terminkalender. Die Pfingstferien sind abgesehen von der Oberstufenklausur Englisch wirklich frei. Ich kann machen, worauf ich Lust habe. Zum Beispiel in den Hinterhof starren. Die gurrenden Tauben beim Flirten beobachten. Den Balkon bepflanzen. Die letzten Kisten in den Keller räumen und die Wohnung wirken lassen. Lesen. Mein Fremdsprachenprojekt weiter treiben. Und wenn es fad wird, wird das neue Viertel erkundet. Hier gibt es so viel Neues zu entdecken. Das Künstlerviertel in der Preysing Straße zum Beispiel. Oder den Bordeauxplatz. Alles ist wunderschön bepflanzt und ergießt sich in sattem Grün. Das tolle Juniwetter tut sein übriges, echtes Sommerflair in der Innenstadt zu verbreiten. Und so sitzt man abends in einem der vielen Schanigärten bei einem Glas Mastika-Sprizz in der Abendsonne und lauscht der lauen Sommerbrise, wenn sich der Wind sich in den Blattkronen fängt, und das Laubrauschen den Großstadtlärm fast komplett überspielt. Wofür denn in die Ferne schweifen?

    Schön hier 😎

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    0
  • Allgemeines,  Alltag

    Mikro- und Makroblogging

    In den letzten Wochen war echt ganz schön was los hier (Artikel folgt bzw. folgen). Das hat Spuren hinterlassen, die hoffentlich der Physio-Doc wieder in den Griff bekommt. Altwerden ist echt doof. Wenn aus gewohnten Situationen und Wehwehchen, die man früher einfach so weggesteckt hätte, auf einmal langwierige Geschichten werden, mit denen man überhaupt nicht gerechnet hätte, wird man echt nachdenklich. Aber was will man machen?

    Das volle Programm der letzten Tage hat mir meine Routine ganz schön durcheinander gewirbelt. Unterrichtsvorbereitung, Elternsprechtag, Abiturkonferenzen und -aufsichten, AK-Sitzungen, pädagogische Nachmittage. Da gab es einiges oben drauf, was an anderer Stelle gut Zeit abgeknapst hat. Entsprechend fielen einige Dinge flach. Das Bloglesen von anderen Kolleginnen und Kollegen zum Beispiel, das ich gestern Abend nach einer gefühlten Ewigkeit mal wieder gemacht habe. Und ich bin jedes Mal erstaunt, wie viel tolle Beiträge es immer noch in den deutschen Lehrkraftsbloglandschaften gibt, die ich immer wieder verpasse, weil mir bis heute ein entsprechender Workflow fürs Bloglesen fehlt. Kollegen über soziale Medien ist da echt zugänglicher, Neuigkeiten viel schneller an Mann und Frau gebracht. Aber zu Blogartikeln muss ich mich immer durchklicken und -quälen. RSS-Feedreader fühlen sich für mich mittlerweile echt ein bisschen out of date an. So wie Fax oder Telex. Dabei gäbe es so viele tolle Artikel, die so niemals in ein Mikroblogging-System wie auf den sozialen Medien passen würden:

    Herr Rau geht auf Kindheitsreise, Herr Klinge schlittert um das Phänomen Midlife-Crisis. Beides las ich mit großem Interesse und Genuss. Und mit Ruhe. Ganz anders als in so manchen Netzwerken, wo alles auf Schnelligkeit, Effizienz, aber auch Chaos und Sichtbarkeit (oder auch Lautstärke) geeicht ist. Das Lesen von längeren Artikeln fühlt sich ganz anders an. Frei von Seitenlärm. Frei von Retweets- und -tröts. Frei von Chaos. Nur der Text und ich.

    Genau sowas bräuchte ich auf regelmäßiger Basis. Nur halt unkompliziert.

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    5
  • Allgemeines,  Technik

    Fortbildung 2023

    Ich bin in der Wohnung gerade beim Malern. Liege auf dem Rücken, während mir die Farbe ins Gesicht tropft. Ich bin konzentriert bei der Arbeit. Und gleichzeitig nicht wirklich dabei. Wie auch, denn ich bin parallel in Dillingen. Auf einer eSession zu Midjourney, die mir vom Handy im Nebenzimmer auf meine Bluetooth-Kopfhörer gestreamt wird. Viele tolle Einfälle, die das Referententeam Christian Mayr, Melissa Schneider und Daniel Jurgeleit hat. Und ich höre gebannt zu, wie bei einem Hörspiel. Und finde es Wahnsinn, was in einem Jahr wie 2023 technisch mittlerweile so problemlos möglich ist.

    Antike Stadtpanoramen – von Midjourney erstellt
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    0
  • blog,  Technik,  Unterricht

    Jubiläum!

    Mit dem ersten April April begehe ich dieses Jahr einen ganz besonderes Jubiläum. Mein Blog wird zehn. Eine ganze Dekade bin ich nun als bloggender Lateinlehrer unterwegs. Vor 10 Jahren war die Bloglandschaft noch sehr aufregend. Man tauchte ein in eine Welt von hochmotivierten Lehrkräften, die auf ihrer digitalen Präsenz innovative Arten der Unterrichtsgestaltung präsentierten und sich wie selbstverständlich vernetzten, diskutierten und sich gegenseitig zu tollen Sequenzen inspirierten. Für mich war das damals komplett neu.

    Old School

    Ich war noch relativ frisch im Beruf und durch meine Referendarsausbildung komplett in den alten Spuren verhaftet. Ich bekam 2007 noch das old-school Komplettpaket auf den Weg: Das Arbeiten mit analogen Stundenentwürfen, das Arbeiten mit OHP-Folien, das handschriftliche Erstellen von Bewertungs- und Umrechnungstabellen bei der Bewertung von Textproduktion. Einfach alles. Und das spiegelte sich auch wider in meinem Arbeitszimmer: Dort tummelten sich meterweise Leitz-Ordner voll von Hand geschriebenen Unterrichtsentwürfen, Klarsichtfolien und Kopien. Meine Schultasche war damals noch mit der Intention gekauft worden, möglichst viel Material dort unterzubringen. Und so entschied ich mich für ein Modell, das von sich behauptete, ganze vier Leitz Ordner beherbergen zu können. Aus heutiger Sicht ein Wahnsinn. Denn dass das auch ohne derartigen Ballast funktioniert, erfuhr ich über die Bloglandschaft. Frau Schütze berichtete regelmäßig auf ihrem Blog über ihre Unterrichtsvorbereitung mit Hilfe von Evernote. Herr Larbig zeigte, wie man mit Hilfe eines Dokumentenscanners sein Büro komplett papierlos machte. Und Jan-Martin Klinge präsentierte das Leben mit OneNote. All das wollte ich auch.

    New School

    Mein erstes Tablet. Anno 2013.

    Und so ging es los mit einer digitalen Webpräsenz. Erst noch auf einem eigenen Server, dann, als ich kalte Füße deswegen bekam, bei WordPress selbst, wo ich anonym meine Anekdoten zum besten geben konnte. Gleichzeitig lief die Vernetzung über Twitter… und über andere Dienste, die kamen und gingen. Flipboard, Pinterest, Google Plus, Scoop it! und einiges mehr waberte gelegentlich an die Oberfläche und verschwand dann wieder sang- und klanglos in den Tiefen des Netzes. Ebenso auch die Hardware. Mein HTC Flyer wurde ersetzt durch eine Armada an Samsung Geräten: Ein Note 8.0, ein Tab S3, ein Tab S7. Dann kam das Abenteuer Lehrerdienstgeräte. Und die lange Reise der Streaming Sticks. Über die Jahre habe ich wohl fast alles ausprobiert, was auf dem Markt ein bisschen Hoffnung versprach: Ein Dongle von Samsung, der EZCast, der EZCast Pro, der Microsoft Wireless Display Adapter. Die Geräte kamen und gingen. Und der Blog blieb bestehen. Und das eigentlich sehr erfolgreich – bis 2018  das Gespenst DSGVO umging und einigen Präsenzen ein jähes Ende setzte. Die Verpflichtungen, die mit Impressumszwang, Datenschutzerklärung und Nennung einer realen, juristischen Person, war für viele zu stressig (und auch gefährlich) und veranlasste einige Blogbesitzer, ihre Seiten auf privat zu stellen – oder komplett zum Netz zu nehmen. Ich gehörte dazu. Im Nachhinein ein ziemlicher Fehler.

    Zäsur

    Denn das Bloggen ging mir tatsächlich sehr ab. Es hatte mir immer sehr geholfen, meine Gedanken zu ordnen und Frustrationen sinnvoll zu kanalisieren. Das fehlte mit einem Mal. Zusammen mit den ganzen Followern, die sich nicht nur über Twitter, sondern über diverse Reader versammelt hatten und rege in den Austausch getreten waren. Als ich daher 2020 wieder einen Blog eröffnete, musste ich mehr oder weniger bei Null anfangen. Kommentare zu Artikeln wurden deutlich rarer oder verlegten sich gleich in soziale Netzwerke, wo sie im Datennirwana verschwanden. Wieder eine Lektion gelernt.

    Der gelassene Großvater

    Insgesamt ist es seit dem Relaunch ruhiger geworden. Oder vielleicht auch ich. Die Sturm-und-Drang-Zeit, mit der man jeden Trend mitgemacht und sich in jeden EdChat oder Blogparade oder -stöckchen einklinkte, sind einfach vorbei. Der Fokus hat sich verlagert. Stürmen und Drängen tun andere. Und ich schaue aus der entfernten Warte zu. Wie der gute alte Opa aus der Werthers Echte-Werbung (die übrigens dreißig Jahre später ganz schön unangenehm zum Ansehen ist)

    Dieses Video auf YouTube ansehen.
    Die Verbindung zu YouTube wird erst bei einem Klick auf den Screenshot hergestellt.

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    0
  • Allgemeines,  Pädagogik,  Unterricht

    Vom Abschied auf Zeit – Teil II

    Falls ihr euch gefragt habt, was das dicke Ende war, auf das ich Anfang der Woche spekuliert hatte. Hier ist es:
    Eine komplette Klasse, die für mich Spalier steht. Tosender Applaus. Ein Kuchen- und Tortenbuffet nur für mich mit allem, was dazu gehört: Säfte, Limo, Knabbereien. Eine große Kiste mit 26 teilweise hoch emotionalen Abschiedsbriefen.  Ein Lorbeerkranz für den magister laureatus. Eine große Fotorunde mit allen. Ein paar Tränen. Und ein großes “Auf Wiedersehen”, als ob ich die Schule für immer verlasse. Dabei wechsle ich ja nur das Fach.
    Und jeder, der nun behauptet, das Lehramt das Unterrichten sei ein furchtbarer Beruf, hat entweder keine Ahnung oder etwas fundamental falsch gemacht!

     

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    4.7
  • Allgemeines,  Alltag,  Unterricht

    Vom Abschied auf Zeit

    So wie es aussieht, bin ich ab diesem Halbjahr leider meine Klasse in Latein los. Grund ist der Weggang eines Kollegen, der bei uns Informatiklehrer war. Als Ersatz schickt uns das Ministerium… eine Lehrkraft mit Latein und Altgriechisch – was uns nicht im Entferntesten weiterhilft.

    Deswegen wurde jetzt eine Lösung ersonnen. Der neue Kollege bekommt meinen Lateinunterricht und ich übernehme ab dem Halbjahr die entstandenen Lücken in Informatik. Fachfremd. Aber ein Systembetreuer kann das ja. Wir werden sehen.
    Die Nachricht über unsere anstehende Trennung führte zwischen meiner Klasse und mir zum Durchleben der klassischen Phasen einer traumatischen Erfahrung. Nach einer Stunde elegischen Klagens fanden wir uns zunächst im Stadium der


    Verleugnung

    wieder. Die Kinder gingen in der ersten Hälfte der Woche davon aus, dass ich sie ärgern möchte und alles nur ein Streich sei. In der zweiten hofften sie auf eine Änderung der Personalsituation. Genauso wie ich. Vielleicht überlegt es sich ja der Informatikkollege nochmal mit dem Weggang. Oder der neue Kollege sagt ab, weil er München furchtbar findet. Aber nichts dergleichen passierte. Und so fanden wir uns in Phase 2:


    Wut

    Vor meinen Augen wurden in der Klasse nun diverse Rachepläne geschmiedet. Wie kann man dem aktuellen Informatiklehrer das Leben zur Hölle machen? Wie boykottiert man am ehesten den Unterricht meines Nachfolgers? Meine Beschwichtigungsversuche in dieser Richtung wurden allesamt ignoriert. Man war sauer. Und das wollte man sich nicht nehmen lassen. Und so rutschten wir in Phase 3:


    Verhandlung

    Eine Delegation von diplomatisch versierten Mini-Damen formierte sich eines Tages vor dem Büro des stellvertretenden Schulleiters. Mit Hilfe einer Petition, die von der gesamten Klasse unterschrieben war, wollte man den Schicksalsschlag abwenden. Jeden Tag wurde die Schar an Bittstellerinnen größer. Um weiteres Chaos abzuwenden, habe ich mit der Klasse vereinbart, die Klasse im nächsten Jahr wieder zu nehmen – vorausgesetzt es ist machbar. Und so war Phase vier nicht allzu schlimm, auch wenn der Titel es nicht vermuten lässt.


    Depression

    Die Klasse verfällt nur selten ins Klagen und Traurigkeit – nur dann, wenn ich ihnen bei beginnenden Diskussionen aufzeige, wie wenig Stunden wir noch zusammen haben und wir die Zeit deshalb besser nutzen sollten. Das unterstütze ich bildlich mit einem digitalen Kalender, dem ich jede Stunde vor aller Augen ein weiteres Blatt abreiße. Das führt letztendlich zur aktuellen Phase:


    Akzeptanz

    Die Klasse ist musterbrav, Unterrichtsstörungen sind komplett passé. Unser anstehendes Ende sehen wir jetzt mehr und mehr sportlich. Und nachdem ihnen letzte Woche aufgefallen ist, dass mit den letzten fünf Stunden nun the final countdown angebrochen ist, vergeht keine Stunde, in der ich diesen unsäglichen Klassiker einer jeden 80s Party über Spotify anspielen muss. Dann singt die komplette Klasse lauthals mit (sofern sie das nach einem halben Jahr Englischunterricht kann) und übt sich im Headbangen. Und ich bleibe heimlich sehr gerührt zurück. Das dicke Ende kommt ja noch. Nämlich kommenden Freitag. Drei Eltern haben schon angefragt, wann denn die letzte Lateinstunde ist…
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    5
  • Prüfungen,  Unterricht

    Beurteilung

    Das neue Jahr startet in Bayern mit einer Extremsituation. Und ausnahmsweise hat sie nichts mit außerplanmäßigen Zuständen einer Pandemie zu tun. Sondern mit regelmäßigen. Die so genannte Regelbeurteilung steht an, die in Bayern alle vier Jahre in die Fächer der Lehrkräfte wandert. Quasi ein Zeugnis für uns. In ihr kommt alles zur Sprache, was seit der letzten Beurteilung so geleistet wurde: Unterrichtsplanung und -qualität, die in Stundenbesuchen durch die Schulleitung bezeugt wurde, Kooperation, Wahrnehmung übertragener schulischer Funktionen, außerunterrichtliche Aktivitäten, Sachkompetenz, Fachkompetenz, Erziehungskompetenz – alles ist (hoffentlich) berücksichtigt und gebührend in einem von sieben Prädikaten bewertet – nicht in Noten.

    Es gibt Leistung von herausragender Qualität (HQ), eine, die besonders gut erfüllt ist (BG), die die Anforderungen übersteigt (UB), den Anforderungen voll entspricht (VE), in hohem Maße gerecht wird (HM), die Mängel aufweist (MA) oder die insgesamt unzureichend ist (IU). Aber unter der Hand spricht man natürlich von Noten. Frau Müller hat kein UB, sondern eine drei. Herr Sachs eine vier. Aber davon bekommt in der Regel niemand was mit. Denn die Beurteilungen werden gehütet wie ein Staatsgeheimnis. Selbst Freunde sind sehr vorsichtig beim Ausplaudern der schriftlichen Würdigung – aus Angst, dass man sein Gegenüber verletzt, das schlechter weggekommen ist.

    Schon verrückt, wenn man bedenkt, dass das Beurteilen von Leistungen zu unserem Alltagsgeschäft gehört und wir eine gewisse Professionalität an den Tag legen müssten, wenn es um unsere eigene Leistung geht. Stattdessen benehmen wir uns wie Fünftklässler, die ihre Schulaufgabe bei der Herausgabe angsterfüllt an sich reißen und sofort in die Mappe stecken, damit keiner die Zensur mitbekommt. Souverän geht anders.

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    4.3
  • Allgemeines,  Alltag

    Von Vorsätzen

    Ich kann mich überhaupt nicht dran erinnern, jemals einen Blogartikel zum Thema Neujahresvorsätzen gemacht zu haben (ich bin aktuell auch ehrlich gesagt zu faul um nachzusehen). Aber warum eigentlich nicht? Hat ja auch sein Gutes sowas mal zu machen. So kann man regelmäßig im Jahresverlauf nachschauen, was man 2023 eigentlich vor hatte… und nicht eingehalten hat. Na dann wollen wir mal die Liste eröffnen mit Vorsätzen für das jüngst angebrochene Jahr…

    Mehr…

    • Konsequenz. Beim Sport zum Beispiel. Ich gehe seit dem Referendariat zu regelmäßigen Zeiten in den Sport. Aber seit Corona und der Schließung der Fitnessstudios ist da ein gewisser Schlendrian reingekommen. Zu Stresszeiten ging ich letztes Jahr oft überhaupt nicht mehr. Und das, wo man Sport und Zerstreuung am meisten bräuchte.
    • Fokussierung. Ich geb’s zu. Ich habe Anwandlungen eines Jack of all trades. Vieles interessiert mich gleichermaßen. Und so jongliere ich mit vielem parallel ohne einen echten Fokus setzen zu können. Das sieht man alleine schon einmal bei einem Blick auf mein Handy. Vor allem im Ordner zu den social media. Nichts als Apps für soziale Netzwerke, alle für eine andere Bubble mit einem anderen Fokus. Das muss anders werden.
    Nichts als soziale Netzwerke
    Nichts als soziale Netzwerke
    • Ruhe. Die letzten zwei Jahre waren beruflich immer ein ziemliches Auf und Ab. Umso wichtiger, dass jetzt mal endlich nach dem Umzug bei uns auch nun in der Schullandschaft Ruhe einkehrt. Aktiv kann ich das natürlich nicht herbeiführen. Dafür im Privaten umso mehr. Was ich beispielsweise total vernachlässige seit Jahren ist Lesen. Ich habe schlichtweg nicht die Zeit oder die Muße dafür. Vor dem Schlafengehen einfach mal was zur Entspannung zu lesen, gibt es nicht bei mir. Stattdessen hänge ich in Tutorials, in Fachliteratur, in sozialen Medien. Alles nicht gut. Ich weiß. Ich staune da immer wieder, wenn ich mir ansehe, was für Stapel Kollegen wie Herr Rau über das Jahr so weglesen. Ich wüsste gar nicht, wo ich die Zeit dazu hernehmen sollte. Aber vielleicht muss ich mir die einfach nehmen.
    • Arzt. Die Zeiten der Zipperlein sind bei mir angebrochen. Nix Großartiges. Ein Carpal-Tunnel-Syndrom an meinem linken Handgelenk. Seit zehn Jahren eine massive Verspannung am linken Rhomboiden und seit letzten November nun bei manchen ruckartigen Bewegungen ein komisches Ziehen (kein Stecken) irgendwo im Schulterbereich. Natürlich auch links. Dreimal dürft ihr raten, ob ich Links- oder Rechtshänder bin. Wegen des einen oder anderen war ich schon mehrmals beim Arzt, hatte Massagen, Chiropraktik, Schienen. Aber so richtig hat nichts geholfen. Die Maßnahmen lindern ja nur die Symptome, nicht die Ursache. Und die würde ich gerne mal rausfinden lassen.
    • Investieren. Ich hätte vor zwei Jahren nicht daran gedacht, dass mich dieses Thema in dieser Art mal so umtreiben würde. Aber mit einer Inflation, die im Dezember in Bayern irgendwo bei 10% lag, denkt man dann schon daran, sein hart verdientes Geld irgendwo sinnvoll zu parken. Spätestens wenn dann wie letztes Jahr die Bank an einen herantritt, um einem das Thema Immobilien schmackhaft zu machen, merkt man, dass man für Finanzinstitute interessant geworden ist. Aber in was investieren? Immobilien in München kann im Moment niemand zahlen, solange man nicht von Mami und Papi ein stattliches Erbe auf den Weg mitgegeben bekommen hat. Aktien sind mir viel zu heikel, da auch sattelfeste Pferde ohne Vorwarnung kippen können. ETFs können klappen, aber sind in ihrer Gänze erst auf lange lange Laufzeiten richtig rentabel. Tagesgeld oder Termingeld werfen kaum Prozente ab, aber immerhin gibt es wieder welche. Der Wertminderung durch die Inflation wird das nicht aufhalten. Aber das wird nichts von den oben genannten Dingen. Das Thema wird mich also noch ein bisschen beschäftigen.

    Weniger…

    • Kaffee. Mein Konsum des braunen Goldes hat über die Jahre unheimliche Ausmaße angenommen. An Stresstagen waren es durchaus mal 15 Espressi, die ich konsumiert habe. Daran war auch meine Nespresso-Maschine schuld, die einfach innerhalb von 20 Sekunden einsatzbereit war… bis sie im Dezember dann nach zehn Jahren ihren Geist aufgab. Daher habe ich etwas (viel) Geld in die Hand genommen und mir eine Siebträgermaschine und eine Mühle besorgt. Das Zubereiten von Kaffee ist jetzt wirklich eine gewisse meditative Aufgabe, die schon jetzt deutlich entschleunigt und meinen Konsum gut runtergefahren hat. Denn bis alles einsatzbereit ist, heizt die Maschine knapp 15 Minuten vor. Jeder zubereitete Espresso will daher gut überlegt sein. Quick and dirty ist nicht mehr.
    • Überstunden. Klar, Mehrarbeit ist in unserem Beruf nichts Neues. Aber was ich über das übliche Maß hinaus letztes Jahr an der Schule war, alleine um die technischen Löcher an unserer Baustelle zu stopfen, ist kaum zu beziffern. Jetzt zum Jahresbeginn habe ich alles Menschenmögliche getan, um die Defizite in der Technik am Standort auszumerzen. Alles, was jetzt immer noch nicht geht, ist Problem der Stadt München. Und nicht meins. Das sollte ich mir tatsächlich als Spruch übers Bett hängen.
    • Zeug. Wer in einer Stadt wie München wohnt, weiß, dass Platz ein Luxus ist. Umso wichtiger sich regelmäßig von Plunder zu trennen, den man nicht mehr braucht. Letztes Jahr begann ich mit dem Verkauf von alten Video- und PC-Spielen aus meiner Jugend, die mit mir seit 20 Jahren immer umziehen. Das war finanziell deutlich rentabler als ich gedacht habe, sodass ich dieses Jahr weiter ausdünnen möchte.

    Wie sieht’s bei euch aus? Irgendwelche Vorsätze für 2023?

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    5
  • Allgemeines,  Alltag,  blog

    Jahresrückblick: Es bleibt alles anders

    Kein Blog ohne Jahresrückblick 😎 Aber eine detaillierte Darstellung erspare ich mir dieses Jahr. Denn Zeit ist für uns definitiv eine Komponente geworden, die rar ist. Zumindest bei mir. Ebenso wie das Thema Sicherheit und Routine. Vieles, was wir als gesetzt akzeptiert haben, wurde 2022 gänzlich auf den Kopf gestellt. Ein Krieg in Europa, explodierende Kosten für Gas, für Öl, für Elektrizität. Für Benzin. Für Lebensmittel. Eine Inflation auf Rekordhöhe. Und man steht tatenlos daneben und wird von den Ereignissen überrollt. Das weitet sich auch auf das Digitale aus, wo im Laufe des Jahres altbekannte Strukturen und Plattformen von Grund auf umgekrempelt wurden.

    Zwitscher-Chaos

    Twitter, die Plattform, auf der alles für viele von uns anfing, geriet beispielsweise ordentlich ins Straucheln. Seit Oktober hält die Spirale der Hiobsbotschaften an. Ein CEO, der einen Großteil seiner Mitarbeiter rauswirft, dann wieder einstellt, dann zu horrenden Überstunden verpflichtet, seine Abwahl zur Disposition stellt – das alles hat ein System, das für die meisten von uns aller Unkenrufen zum Trotz gut funktioniert hat, in Rekordzeit nachhaltig zerstört. Eine Neuorientierung fällt vielen immer noch schwer. Auch mir. Ich schaue immer wieder aus Gewohnheit bei Twitter vorbei. Aber es ist nicht mehr dasselbe. Und Mastodon ist kein Twitter. Und so hüpfe ich ratlos zwischen zwei Plattformen hin und her, die mich beide in ihrer jetzigen Form nicht zufrieden stellen…

    An elephant in the room

    In dem Durcheinander habe ich gänzlich verpasst, dass auch bei Evernote was im Busch ist. Die Plattform, mit der ich seit Bestehen des Blogs konsequent meinen Unterricht bestreite, hat den Besitzer gewechselt und ist ab Januar das Schätzchen von Bending Spoons, die sich auf mobilen Plattformen auf Monetarisierungsmethoden ihrer Programme versteht. Zwar wurde vom neuen Besitzer erklärt, dass sich alles zum Vorteil der Nutzenden ändern wird. Aber solche Versprechen kennt man ja. Und plötzlich sind völlig abstruse Neuerungen da, die Bezahlmethode auf das Doppelte erhöht, und die Leute in Scharen abgesprungen. Sollte der Dienst dann seine Schotten dicht machen, bin ich aufgeschmissen. Über Evernote läuft bei mir alles. Selbst die Dienste des Programmes, über die gerne gelästert wird (Widgets oder die Startansicht), sind bei mir fest in den Arbeitsablauf integriert und funktionieren für mich prima. Klar gäbe es Alterativen. Aber keine funktioniert für mich und meinen Workflow so wie Evernote und würde sich echt wie ein deutlicher Rückschritt anfühlen. Wo geht’s dann weiter? OneNote? DevonThink? Ganz was anderes?

    (K)ein Fels in der Brandung

    Selbst auf meinem Blog, der in all den Jahren meine Konstante darstellte, habe ich dieses Jahr mehrmals die Augenbraue hochgezogen. Einige meiner Artikel gingen zahlenmäßig total durch die Decke. Andere blieben wie Blei in den Leseregalen liegen. Aus welchen Gründen, kann ich nicht nachvollziehen. Meine Top 3 – Beiträge sind völlig unterschiedlich. Einer davon ist mein Testbericht zu Squid, den ich schon vor Jahren verfasst habe, aber ständig gelesen wird. Die anderen sind Rants – einmal über Lehrerdienstgeräte und dann über das letzte chaotische Schuljahr. Wäre Bloggen jetzt meine Haupteinnahmequelle müsste ich jetzt aus solchen Zahlen Analysen ziehen. Zum Beispiel, dass schlechte Stimmung im Netz gut Quote macht. Oder ob ich Besucherzahlen mit Suchmaschinenoptimierung vergrößern möchte. Oder wann ich in der Woche meine Blogartikel am Besten platziere, um möglichst viele Leute zu erreichen. Aber zum Glück ist das nicht mein Beruf. Mein Blog hat nach wie vor eine süße Reichweite. Aber auch nicht mehr. Ich mache, was ich für richtig halte und freue mich, wenn es angenommen wird. Und wenn nicht, dann ist das schade. Aber zum Glück auch nicht mehr. Meine Rechnungen werde ich trotzdem bezahlen können.

    Ich wünschte, ich könnte die anderen Baustellen des Jahres mit einem ähnlichen Schulterzucken abtun. Vielleicht lerne ich das 2023.

    Bis dahin rutscht mal gut!

     

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