In meinen Messengern ist die Hölle los. Ich werde überflutet von Ferien-Statusmeldungen von Freunden, Bekannten und Kollegen: Bilder vom Strand, Bilder von einer mediterranen Altstadt in Süditalien. Sonnenuntergänge in Griechenland, Snapshots aus London, Bergpanoramen von Mountainbiketouren. Irgendwie hat über die Pfingstferien jeder das Weite gesucht. Nur wir sind da geblieben. Und das ist gut so.
Denn der Umzug hat ein gutes Loch in den Geldbeutel gerissen und die kompletten Osterferien blockiert. Umso mehr genieße ich nun die Ruhe und die Leere in meinem Terminkalender. Die Pfingstferien sind abgesehen von der Oberstufenklausur Englisch wirklich frei. Ich kann machen, worauf ich Lust habe. Zum Beispiel in den Hinterhof starren. Die gurrenden Tauben beim Flirten beobachten. Den Balkon bepflanzen. Die letzten Kisten in den Keller räumen und die Wohnung wirken lassen. Lesen. Mein Fremdsprachenprojekt weiter treiben. Und wenn es fad wird, wird das neue Viertel erkundet. Hier gibt es so viel Neues zu entdecken. Das Künstlerviertel in der Preysing Straße zum Beispiel. Oder den Bordeauxplatz. Alles ist wunderschön bepflanzt und ergießt sich in sattem Grün. Das tolle Juniwetter tut sein übriges, echtes Sommerflair in der Innenstadt zu verbreiten. Und so sitzt man abends in einem der vielen Schanigärten bei einem Glas Mastika-Sprizz in der Abendsonne und lauscht der lauen Sommerbrise, wenn sich der Wind sich in den Blattkronen fängt, und das Laubrauschen den Großstadtlärm fast komplett überspielt. Wofür denn in die Ferne schweifen?
Schön hier 😎
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(für Teil 1 hier lesen) … und dann kommt plötzlich ein Schubs von der Seite, ganz unvermittelt aus dem Nichts. Und dann geht alles ganz schnell: Alte Wohnung gekündigt, Kisten geordert, Vertrag unterschrieben, Leute zum Umzug akquiriert, Wohnung ausgemistet, Zeug inseriert, Zeug verkauft, Zeug verschenkt, Zeug weggeworfen, Transporter gemietet, Zeug eingepackt, Küche gekauft, Farben besorgt, alte Wohnung geweißelt, Transporter beladen, den alten Nachbarn Lebewohl gesagt, umgezogen, umgemeldet. Zack. Bumm. Naja… nicht ganz. Das Bumm hat in Wirklichkeit dann doch drei Monate gedauert. Doch im laufenden Schuljahr spürt man davon nichts. Man ist ständig unter Strom: Permantentes Pendeln zwischen der neuen und der alten Wohnung. Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Zwischen Heimat und terra incognita. Zwischen Chaos und noch mehr Chaos. Aber nun bin ich hier. Alles durch – in einem Sauseschritt, der mir die kompletten Osterferien geraubt hat. Für Wehmut war da keine Zeit. Ganz anders als beim letzten Mal vor acht Jahren, als ich in meine vorige Wohnung gezogen war.
Alles neu
Ich fühle ich mich pudelwohl im neuen Zuhause und bin richtig glücklich. Denn ich lebe jüngst in einer Gegend, die ich als potentiellen Wohnort schon vor Jahren komplett aufgegeben hatte. Ich hatte mich eigentlich schon im Speckgürtel Münchens wohnen sehen, weil die Preise in der Stadt so durch die Decke gegangen sind. Aber es gibt Glücksfälle. Und Vermieter, denen Profit nachrangig ist, und die stattdessen mehr Wert auf eine beständige und gute Nachbarschaft legen. Und so einen habe ich. Bzw. so einE. Sie stand am Tag nach dem Umzug mit einem Laib Brot und Salz vor der Wohnungstür. Zum Einstand. Das gehört sich einfach, sagt sie mit einem verschmitzten Lächeln.
Und recht hat sie. Das gehört sich so… Aber wer macht denn so etwas heutzutage noch? Noch dazu in der Stadt?
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Ich sag’s frei heraus: Ich HASSE umziehen. HASSE HASSE HASSE es. Die Erniedrigung bei der Wohnungssuche, das Blankziehen mit Schufa-Auskunft, Einkommensnachweisen und Jahreszeugnis der vorigen Vermieters. Das Kistenpacken. Das Ausfüllen von Nachsendeanträgen, das Verständigen von Versicherungen, Banken, Zeitschriften-Abos. Das Hausen in der alten Wohnung zwischen Kisten und abgebauten Möbelstücken. Das Abschiednehmen von einer Umgebung, die oft Jahrzehnte ein Zuhause, eine Heimat war. Ich hasse es. HASSE HASSE HASSE es. Vor allem München, dem mittlerweile teuersten Pflaster in Deutschland und dem zweitteuersten in Europa. Nur noch Paris erlaubt sich noch teurere Mieten. Nur ist Paris eine Weltmetropole. Und München ist halt… München. Weltstädtisch ist an uns wenig. Viele wären es gerne. Wir sind aber weit entfernt von weltmännischem Flair. Alfred Hitchcock nannte die Stadt mal ein wonderful Millionendorf . Und das trifft’s bis heute.
Wonderful, costly Millionendorf
Nur interessiert das die Investoren nicht, die uns seit zehn Jahren die Stadtarchitektur mit Luxuswohnungen vollstopfen, alteingesessene Mieter aus den Häusern ekeln und so die Gentrifizierung ebenso wie die Immobilienpreise in Höhen treiben, dass uns der Rest von Deutschland einen Vogel zeigt.
Deswegen ziehe ich so selten wie möglich um. Muss ich auch nicht. Ich fühle mich in meiner kleinen Maisonette-Wohnung in der Nähe des Westparks sehr wohl. Ich liebe das Fernsehen direkt unterm Dach. Meinen 2m²-Balkon mit Blick in die Baumwipfel des Gartens. Das Gackern der Hühner, die der Nachbar für seine Kinder als Haustiere angeschafft hat. Ich liebe es, wenn der Regen gegen die Dachfenster trommelt, der Wind hektisch nachts an den Jalousien rüttelt. Mein heißgeliebtes Arbeitszimmer. Und selbst an die Quirks in der Wohnung habe ich mich gewöhnt. Das Wasser in einer der Fensterscheiben, das regelmäßig kondensiert und mir ein Panorama nach draußen bietet wie eine alte Afri-Cola-Werbung. Die Küchenzeile mit der kaum nutzbaren Funzellampe. Der Kühlschrank unter der Treppe, weil der partout nicht in die Mini-Küche passt. Die unberechenbare Heizung. Die nette Hausgemeinschaft vor Ort. Ich mag es hier sehr. Und könnte es mir vorstellen, noch sehr lange hier zu wohnen. Doch dann kommt Jahr sieben in dieser Umgebung. Als sei es geplant, ändert sich was.
Noch (m)eine Heimat?
Es beginnt mit Kleinigkeiten: Erst verzieht der Nachbar nach Genf. Dann verstirbt die nette Dame, die uns immer Weihnachtsmänner vor die Türen gestellt hat, völlig unerwartet. Nachfolger ist ein Student, der ordentlich Leben in die Bude bringt – leider zu Schlafenszeiten. Und dann steht im Grundstück gegenüber plötzlich ein Makler mit zwei Anfangsdreißigern im Garten. Das Pärchen hat Grund geerbt und für vier Millionen Euro an die Stadt verkauft. Und so leistet man sich mal in Münchner Randgebiet ein schickes freistehendes Haus vom ererbten Geldsegen. Die ursprünglichen Eigentümer emigrieren. Nach Zypern. Die halbe Straße macht sich auf einmal auf und davon. Und man selbst beginnt nachzudenken. Und rechnet, was man sich denn leisten könnte. Oder leisten will. Möchte man für ein Arbeitszimmer auch künftig mächtig draufzahlen? Denn die 1200 Euronen, die man das jährlich steuerlich absetzen kann, decken bei Weitem nicht die Kosten für den Raum, den ich tatsächlich nur für die Arbeit brauche. Oder verkleinert man sich und integriert sein Büro in ein anderes Zimmer? Aber wohin dann mit der Bücherwand? Wohin mit diesem monströsen Schreibtisch? Und überhaupt: Umziehen in diesen Horrorzeiten, in denen sich Inflation, Immobilienpreise und Nebenkosten in ungekannten Höhen befinden? Was für eine Schnapsidee.
Aber dann wird plötzlich doch alles gut.
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Der Sommer ist in Bayern ausgebrochen, und mit ihm kommen nun immer schönere Tage ins Land. In München sind wir bislang von den verheerenden Wettern, wie sie in den nördlicheren Teilen Deutschlands wüteten, verschont geblieben. Stattdessen gibt es Sonne satt. Und wir mittendrin. Daher gab es heute mal zur Abwechslung erst das Vergnügen und dann die Arbeit. Also Radl aufgesattelt und mit Freunden zum Frühstücken gefahren. Anschließend sind wir ein bisschen in der Umgebung spazieren gegangen. Unweit von Neuhausen liegt das Schloss Nymphenburg – eine wunderschöne Parkanlage mitten in der Stadt, die ich seit Kindertagen kenne und als barocke Ruheoase wertschätze.
Schloss Nymphenburg bei schönstem Maiwetter.
Weiter ging’s in den Hirschgarten – einen der größten Biergärten Münchens, wo es immer brummt, aber immer ein Platzerl zu bekommen ist. Es folgte Radler Numero 1.
Von dort ging es ins Laimers – ein kleines Lokal im Westen Münchens mit einem schattigen Außenbereich. Dort fanden Radler Numero 2 und ein bayerischer Wurstsalat statt.
Die Schreibtischarbeit folgt nach dieser Exkursion erst jetzt, wo es langsam am Himmel zuzieht. Drückende Schwüle und dunkle Wolken hängen über der Stadt. Passend zum Wochenbeginn in der Arbeit. Denn ein bisschen Gewitter kündigt sich an… In der Schule hat Corona noch einmal gut zugeschlagen. Nicht bei den Kindern, sondern im Kollegium. Mehr als ein halbes Dutzend liegt deswegen aktuell flach und fällt für mindestens zwei Wochen aus. Darunter Leute, die die Abizweitkorrektur zuhause liegen haben oder gar kommende Woche Abiturprüfungen abhalten müssen. Als Systembetreuer werde ich nächste Woche wohl als technischer Assistent bei der ersten Video-Abiprüfung meiner Karriere dabei sein, bevor ich mich zwei Stunden später in meine eigenen Kolloquien begeben darf – diese allerdings voll analog. Es sei denn, mich erwischt es auch noch. *knockonwood*
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Die Bayerische Staatsoper im Herzen von München galt schon immer als besonderes Schmuckstück in der Innenstadt. Ein klassizistischer Bau mit einem Säulengang fügt sich wunderschön in das Ensemble der Residenz der Wittelsbacher ein. Dabei war es um das Fortleben des Gebäudes nicht immer gut bestellt. Mehrmals wurde das Gebäude fast vollständig zerstört. So führte im 19. Jahrhundert ein Brand im Inneren dazu, dass das Gemäuer bis auf die Grundmauern niederbrannte. Auch der zweite Weltkrieg hinterließ seine deutliche Spuren und zerstörte bei einem Bombenangriff 1943 den Bau fast völlig. Diverse Architekten – darunter auch so berühmte Namen wie Leo von Klenze, der schon mehrere Male in den saxa Monacensia zur Sprache kam – sowie zahllose Bürgerinitiativen waren immer wieder bemüht darum, die Oper aufzubauen und in den Urzustand zurückzuführen. Das gelang ganz wunderbar, wenn man sich das Gebäude mit historischen Aufnahmen vergleicht – bis auf ein kleines Detail: Nämlich die lateinische Inschrift, die den Architrav der Front ziert. Dort steht in goldenen Lettern geschrieben:
Apollini Musisque redditum MCMLXIII
Es ist ein Spruch, der an der Fassade der früheren Bauten fehlt.
Historische Postkarte der Münchner Staatsoper – noch deutlich ohne Weihinschrift
Kein Wunder, denn er rekurriert auf das Jahr 1963 und markiert ein wichtiges Jahr in der Geschichte der Staatsoper. Weit über ein Jahrzehnt wurde an der großen Restauration gearbeitet, knapp 63 Millionen Mark verschlang die Restauration. Aber im Jahre 1963 war es letztendlich geschafft. Das Theater war fertiggestellt, und nun wieder für die Kunstliebhaber zugänglich. Das wollte man auch nach außen hin zur Schau tragen und verpasste in meterhohen goldenen Lettern ein Weihinschrift:
Apollini musisque redditum MCMLXIII
Apollo und den Musen im Jahre 1963 wieder zurückgegeben.
Apollo – als Gott der Künste – wie auch seine neun Schwestern, die allesamt für eine gewisse Teildisziplin in der Kunst stehen, werden sich bedankt haben. Denn der Spruch rekurriert wohl nicht nur auf die Wiederherstellung des Gebäudes, sondern auch auf die Sühne der Kunst selbst, an der man sich in der Nazizeit in diesem Gebäude häufig vergangen hat – in dem die Auswahl der Stücke einer Parteidoktrin unterworfen und deren Inhalt auf Ideologien hingebogen wurde. In dem nur gewissen Schauspielern der Zutritt gewährt wurde, während andere ihre Lebensgrundlage verloren. Jüdische Zuschauer vom kulturellen Leben komplett abgeschottet wurden. Vorbei diese Zeiten. Zum Glück. Aber sie lehren uns: Dass wir heute von freien Künsten reden können, ist nicht selbstverständlich. Es ist ein Privileg.
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Der goldene Oktober hat seinem Namen zu Beginn der Herbstferien nochmal alle Ehre gemacht und die bayerische Landeshauptstadt in schönste Farben gehüllt: Die Baumkronen schillerten überall vor einem tiefblauen Himmel in allen Tönen zwischen gelb und tiefrot. Der fönige Herbstwind rauschte geheimnisvoll in den Parks, ließ die Blätter über das Panorama tanzen und trieb die Leute für wahrscheinlich das letzte Mal in diesem Jahr die Leute in Scharen nach draußen. Egal, ob Luitpoldpark, Englischer Garten, Westpark oder die Isarauen. Die Grünflächen in ganz München waren heißbegehrt. Bei solchen Aufnahmen auch kein Wunder…
Die Tempelanlage im Westpark bei schönstem Herbstwetter
Mit dem ersten November ist die lauschige Idylle vorbei. Die Temperaturen sind um knapp 10 Grad gefallen, eine dicke Wolkendecke hängt über der Stadt und überzieht die Straßen mit dicken Regenwänden. Ich hasse den November. Aber das Schmuddelwetter kommt mir gerade recht: Hier türmen sich Korrekturstapel, die Wohnung ist nach den letzten turbulenten Wochen sträflichst vernachlässigt worden und benötigt ein paar grundlegende Aufräumaktionen. Auch der Blog braucht auch ein bisschen Aufmerksamkeit, ebenso das Medienkonzept und die neueste Kultusministeriumswortkreation namens DigCompEdu Bavaria, was immer das auch sein mag – nach den Ferien bin ich diesbezüglich hoffentlich klüger.
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Man muss schon mit offenen Augen durch den Münchner Stadtteil Pasing laufen, um dieses lateinische Zitat auch wirklich zu finden. Aber da hängt es, knapp vier Meter über dem Boden in schimmerndem Lettern am Pasinger Rathaus. Als Überbleibsel des Kunst Projektes “Pasing by” aus dem Jahr 2015, das schon damals in vielerlei Hinsicht für Ärger gesorgt hat. Insofern ist der Spruch geradezu prophetisch.
Oportet ut scandala eveniant.
Die Süddeutsche Zeitung übersetzt den Spruch mit “Es muss ja Ärgernis kommen”.
Häh?
Aber was soll das Ganze? Ein Blick ins Neue Testament, dem der Spruch vermeintlich entnommen ist (dazu später mehr), möge helfen. In Matthäus 18 kommen die Jünger zusammen, um Jesus danach zu fragen, wer der Größte im Himmelreich sei. Dessen Antwort fällt klar aus: Die, die wie Kinder sind.
(18.6) Qui autem scandalizaverit unum de pusillis istis, qui in me credunt, expedit ei, ut suspendatur mola asinaria in collo eius et demergatur in profundum maris (18.7) Vae mundo ab scandalis! Necesse est enim ut veniant scandala. Verumtamen vae homini, per quem scandalum venit. (18.8) Si autem manus tua vel pes tuus scandalizat te abscide eum et proice abs te. Bonum tibi est ad vitam ingredi debilem vel clodum quam duas manus vel duos pedes habentem mitti in ignem aeternum.
Übersetzung:
(18.6) Wer aber einen dieser Kleinen, die an mich glauben, verführt, für den ist es besser, dass man ihm einen Mühlstein an den Hals hängt und ihn in der Tiefe der Meeres versenkt. (18.7) Wehe der Welt wegen der Verlockungen! Dass sie kommen, ist nämlich notwendig. Aber wehe dem Menschen, durch den eine (solche) Verlockung passiert. (18.8) Wenn aber deine Hand oder dein Fuß verführt, so schneide sie ab und wirf sie weg von dir! Für dich ist es gut, schwach oder verkrüppelt zum Leben zu schreiten, als im Besitz von zwei Händen oder zwei Füßen ins ewige Feuer geschickt zu werden.
Man sieht allein an diesen paar Zeilen, wie unangenehm moderne Übersetzungen von lateinischen Texten ins Deutsche sein können, wenn man den Kontext nicht kennt. Noch dazu, wenn der lateinische Text per se schon eine Übersetzung aus dem Griechischen ist – und auch noch griechische Lehnwörter enthält, die eine genaue Entsprechung zusätzlich erschweren. Das Wörtchen Skandalon kann nämlich vom Kontext abhängig unterschiedlich wiedergegeben werden. Laut Gemoll bedeutet wird der Ausdruck gerne moralisch gedeutet und als Lockung oder Lust übersetzt. In anderen Texten hingegen passt Falle, Anstoß oder Ärgernis besser. Diese Unterscheidung funktioniert hier ganz gut: Im Bibeltext ist der Ausdruck moralisch gemeint. Es geht die Verlockung und die Verführung in der Welt, die entweder von sich aus oder durch Menschen geschehen. Letzteres ist vermeidbar und zu verurteilen. Ersteres passiert. Nun gut, aber was hat dieser Spruch am Pasinger Rathaus zu suchen? Dass ein öffentliches Gebäude die Unabdingbarkeit von Verführungen eingesteht, und damit der moralischen Bedeutung von skandalon folgt, die im Bibelvers absolut nachvollziehbar ist, ist fraglich. Sinnvoller scheint da die zweite Bedeutung des Wortes zu sein, das in der Lutherbibel immer gerne mit ergerniss übersetzt wird. Insofern passt die Übersetzung “Es gehört dazu, dass Aufreger passieren” deutlich besser. Denn die entstehen tatsächlich ohne Zutun. Reibungsfläche gibt es mehr als genug, wie man ja auch an Pasing By gesehen hat.
Mehr müssen müssen
Auch der Altphilologe ist aus dem Häuschen. Denn wie man schon an der Originalstelle sehen kann, ist der Spruch hier – wenn überhaupt – eine Annäherung an die Bibelstelle aus dem Matthäus-Testament. Der Spruch kommt in diesem Wortlaut nämlich überhaupt nicht vor. Dort findet sich lediglich der Satz Necesse est enim ut veniant scandala, der hier synonym zu dem in Pasing hängenden Oportet ut scandala eveniant gebraucht wird, sodass oportet wie auch necesse est gerne beide mit müssen übersetzt werden (so wie es ja auch die SZ tut). So richtig passen will das aber nicht. Zwar können die Ausdrücke oportet und necesse estmüssen bedeuten. Aber dieses Müssen geht semantisch jeweils in unterschiedliche Richtungen. Necesse est für mich eher eine logische Notwendigkeit beschreibt, die aus einer Situation heraus entsteht – das entspricht auch ziemlich gut dem Ausdruck im griechischen Original, das mit den unpersönlichen Ausdruck anagkh gar (Akzente bitte dazu denken) dasselbe bedeutet. Anagke ist sogar als Gottheit der Zwangläufigkeit bekannt. Das im Spruch gewählte oportet hingegen beschreibt eher ein Müssen aus der gesellschaftlichen Notwendigkeit oder Gepflogenheiten heraus zu begründen. Daher wären für mich die Sätze necesse est cives parere und oportet cives parere definitiv nicht dasselbe. Zwar könnte man beide Male “Die Bürger müssen gehorchen” übersetzen. Aber in beiden Sätzen wäre dieses Müssen anders begründet.
Necesse est cives parere wäre ein Satz, der angesichts einer Gefahrensituation höchste Aufmerksamkeit der Bürger einfodert. Oportet cives parere wäre für mich eher eine gesellschaftliche Notwendigkeit. Das Gehorchen als etwas, das man von den Bürgern erwartet, nicht etwas, das die Situation bedingt. Das ist schon ein gewaltiger Unterschied.
Das ist ähnlich wie im Englischen mit must und have to. Beide haben Übereinstimmungspunkte, sie sind aber partout nicht deckungsgleich. Vielleicht schießt der Altphilologe allerdings da über das Ziel etwas hinaus. Denn bei Bibellatein haben wir es nicht mehr mit dem zu tun, was wir als klassisches Latein bezeichnen, auf dem sämtliche unserer Grammatiken und Schulbücher aufbauen. Die lateinische Version, die wir hier vom neuen Testament vorliegen haben, stammt aus der Vulgata, die auf das 3. Jahrhundert nach Christus datiert ist. Da war Latein schon längst lingua franca und unter Muttersprachlern wie auch barbari weit verbreitet, sodass die Grenzen zwischen dem, was sprachlich sagbar ist und was nicht, zunehmend verschwammen. Man merkt das alleine schon, an dem ut-Satz, der in beiden Zitaten nach dem Hauptsatz folgt. Denn klassisch würde an diese beiden unpersönlichen Ausdrücke ein AcI folgen. Wer hier schon schludert, dem ist es auch egal, dass ein Müssen ein anderes Müssen sein muss.
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Mann, werden das Ferien werden! Ich hab mir nämlich nichts vorgenommen. Rein gar nichts. Hier liegen zwei Schulaufgaben, die korrigiert werden müssen, ein Blog, der endlich mal wieder ein bisschen Futter braucht. Aber mehr wird in diesen Ferien nicht passieren. Dank einer Inzidenz von mittlerweile über 130 bleiben ab Montag auch Möglichkeiten zur Zerstreuung außerhalb der heimischen vier Wände begrenzt: Lokale machen wieder zu, Fitnessstudios ebenfalls. Daten von muenchen.deOb die Taktik zum Erfolg führen wird, ist fraglich, weil sich die Leute dann einfach woanders treffen. Abends geht es in den öffentlichen Anlagen in München zu wie im Taubenschlag. Englischer Garten, Hofgarten, Königsplatz, Friedensengel. Überall stehen Horden von Leuten beieinander mit Feierabendbier und Prosecco-Fläschchen in der Hand und einem “Was kümmert’s mich?” im Gesicht. Dass ich für bzw. wegen solcher Herr- und Frauschaften zu Hause bleiben soll, ist streckenweise schwer zu ertragen. Aber Hauptsache heulen, wenn Weihnachten dieses Jahr getrennt stattfinden muss und Christkindlmärkte geschlossen bleiben. Dass manche Leute echt keine 2 Meter weiter denken können…
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Unmittelbar vor dem Eingang in den Englischen Garten thront der Hauptsitz der Münchner Rückversicherungs-Gesellschaft: Ein imposanter Bau aus dem Klassizismus mit einem pompösen Vorhof und einem zauberhaften Garten, der leider hinter hohen Mauern und Gitterstäben den Passanten verwehrt ist. Ein Blickfang ist er aber allemal. Und zwar derart, dass man gerne alles andere an dem Gebäude vergisst. Zum Beispiel die Inschrift, die sich nur dem erschließt, der trotz der Schönheit auf dem Boden seinen Kopf auf der Höhe der Bushaltestelle Thiemestraße auch mal gen Himmel ragt.
Die Inschrift an der Fassade der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft
Das dortige lateinische Zitat labor omnia vincit ist auf vielen Gebäuden zu finden. Der Ursprung ist allerdings den wenigsten bekannt. Es stammt nämlich von keinem Geringeren als Vergil, dem legendären Autor der Aeneis. Der Ausspruch ist allerdings einem anderen Werk des römischen Nationaldichters entnommen, nämlich den Georgica. Und das ist in vielfacher Hinsicht bemerkenswert:
Bei den Georgica handelt es sich nämlich um ein Lehrgedicht, das sich vordergründig dem Ackerbau und dem harten Leben der Bauern widmet. Mit einer Versicherungsgesellschaft hat das herzlich wenig zu tun. Aber das kann man der Inschrift nicht zum Vorwurf machen, wenn man sich ansieht, an was für Gebäuden und Wappen sich dieser legendäre Ausspruch sonst noch so findet.
Interessant hierbei: Das Zitat ist in all diesen Inschriften nicht nur aus dem Zusammenhang gerissen, sondern auch noch verkürzt bzw. falsch zitiert. Es fehlt dem Satz nämlich ein ganz wichtiger Zusatz, der Philologen seit Jahrhunderten beschäftigt. Schauen wir uns das mal genauer an:
Der Ausspruch findet sich in Buch 1 der Georgica. Es ist der Moment, in dem Jupiter das goldene Zeitalter der Menschheit absichtlich beendet, in dem alles in Hülle und Fülle vorhanden war:
Ante Iovem nulli subigebant arva coloni; 125
ne signare quidem aut partiri limite campum
fas erat: In medium quaerebant. Ipsaque tellus
omnia liberius nullo poscente ferebat.
Übersetzung:
Vor Jupiter unterwarfen keine Bauern die Fluren.
Und ein Feld mit einer Grenze abzutrennen oder gar zu markieren
war Unrecht. Sie erwarben es zum allgemeinen Gebrauch. Und selbst die Erde
brachte recht bereitwillig alles hervor, ohne dass es jemand forderte.
“Schluss mit dem Luxus!”, sagt Jupiter. Der Mensch soll sich gefälligst quälen und abrackern. Und in der Not wird der Mensch erfinderisch.
Tum laqueis captare feras et fallere visco
inventum et magnos canibus circumdare saltus.
Atque alius latum funda iam verberat amnem
alta petens, pelagoque alius trahit umida lina.
Tum ferri rigor atque argutae lammina serrae
(nam primi cuneis scindebant fissile lignum),
tum variae venere artes. Labor omnia vicit 145
improbus et duris urgens in rebus egestas.
Übersetzung:
Darauf wurde die Fähigkeit erfunden mit Schlingen wilde Tiere zu fangen und mit Leim zu täuschen
und große Waldstücke mit Hunden einzukesseln.
Und hier peitscht der eine schon den breiten Strom des Flusses mit seinem Fangnetz
und sucht damit die Tiefe ab, ein anderer zieht das nasse Tau aus dem Meer.
Als nächstes kam die Härte des Eisens und die Blätter der kreischenden Säge
(denn die ersten Menschen spalteten das splittrige Holz noch mit Keilen),
dann weitere Fertigkeiten. Labor improbus
hat alles besiegt ebenso wie die in schweren Zeiten drängende Not.
Das kleine Wörtchen improbus will in diesem Zusammenhang so überhaupt nicht in seiner Ursprungsbedeutung hineinpassen. Generationen kennen das Adjektiv nämlich ausschließlich in der Bedeutung schlecht. Und dass schlechte Arbeit alle Widrigkeiten besiegt, will sich bestimmt niemand an seine Fassade stehen haben. Es muss ja irgendein Lohn hinter dieser Arbeit stecken, daher kann diese Ursprungsbedeutung hier nicht passen. Das bekriteln auch Generationen von Altphilologen und bieten für improbus verschiedene Bedeutungen an, die etwas positiver konnotiert sind: Der bekannte Stowasser erwähnt im Zusammenhang mit der Vergil-Stelle die Bedeutung übermäßig oder anhaltend, der Georges in Frakturschrift rastlos. Niklas Holzberg spricht in seinem Buch über Vergil (Holzberg 2006, 102f.) Richard Jenkyns (Jenkyns 1993, 247) den Übersetzungslorbeer zu, der mit dem Ausdruck die verdammt nochmal harte Arbeit daran erinnert, dass auch im Deutschen negativ konnotierte Wörter mitunter als Verstärker gemeint werden können (Das war wahnsinnig gut/ich habe mich schrecklich gefreut.). Insofern ist bei Vergil Arbeit erst dann lohnenswert, wenn sie fucking hard ist. Insofern ist Vergils Ausspruch der geistige Großvater von Britney Spears’ ikonisch gewordenem Ausspruch Work, B**ch.
Ohne diesen Zusatz wird aus der verdammt nochmal harten Arbeit an der Fassade allerdings einfach nur schnöde Arbeit, der Ausdruck also abgeschwächt. Ob absichtlich (wer denkt schon en passant daran, dass improbus auch andere Bedeutungen in sich tragen kann als in der Schule gelernt?) oder nicht, bleibt ein Geheimnis. Ebenso wie die Tempusveränderung des Verbes (auch vicit im Original ist Präsens geworden). Oder aber auch die abschließende Frage, warum eine antike Version von Work, Bitch! an der Fassade eines Versicherungsgebäudes klebt. Soll das eine Aufforderung sein, möglichst viel zu erwirtschaften, um hinterher sein hart erschuftetes Eigentum für viel Geld in den Schutz einer Versicherung zu geben? Zugegeben: wer es richtig anstellt, wird eine Menge an Zeug zu versichern haben. Eine entsprechende Aufstellung zu versichernder materiellen Güter entnehmen Sie bitte den Lyrics von Frau Spears.
Literaturhinweise:
Holzberg, Niklas (2006): Vergil – Der Dichter und sein Werk, München.
Jenkyns, Richard (1993): “Labor improbus” in: Classical Quaterly 43, 243-248.
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Tief in der Münchner Innenstadt verborgen, liegt der alte Südfriedhof. Hinter dicken Mauern verhüllt, vergisst man in der Hektik des Alltags viel zu schnell, dass er existiert. Zu groß sind die ständigen Ablenkungen der Umgebung im hippen, leider übergentrifizierten Glockenbachviertel: Überall finden sich zahllose Cafés, Restaurants oder schnuckelige Läden, und dann ist da auch noch das Isarufer, das fußläufig in wenigen Minuten zu erreichen ist, sodass man den Südfriedhof allzu schnell ein wenig ignoriert. Schade eigentlich. Denn der Ort ist ein kleines Juwel, der vor allem im Frühling seine Stärken ausspielt. Dank der hohen Mauern sammelt sich nämlich alles, was die Natur in puncto Fortpflanzung aufbietet, fast ausschließlich innerhalb des Friedhofareals. Wie in einem Kessel zirkulieren Pflanzensamen und Pollen und kommen irgendwann auf den Grünflächen zum Erliegen und Keimen. Und das sieht man: Spätestens ab Mitte März bietet der Südfriedhof in der Frühlingssonne ein nimmer endendes Meer an Krokussen, Osterglocken, Schnee- und Maiglöckchen, die die letzten Ruhestätten von so berühmten Münchnern wie Carl Spitzweg oder Leo von Klenze bevölkern und in ein wunderschönes Farbenspiel tauchen, das – um mal die Jugend zu zitieren – totally instagrammable ist.
Unter den ganzen Grabsteinen und Stelen finden sich – gottlob! – auch die einen oder anderen lateinischen Sinnsprüche, die ich im Zuge einer neuen Folge der Saxa Monacensia gerne vorstellen möchte. Instagrammable? Maybe not, but definitely noteworthy!
Dulcis praeteritorum memoria
Übersetzung:
Süße Erinnerung an die Verstorbenen/Vergangenheit
Per crucem ad lucem
Übersetzung:
Durch/Über das Kreuz ans Licht
In Deo Pax
Übersetzung:
Friede in Gott
Meinen absoluten Favoriten findet man allerdings kurz vor dem Portal in der Mitte des Friedhofs. Es ist der Grabstein von Martin Schleich, der zu Lebzeiten als Dramatiker und Humorist in Münchner Kreisen wohl bekannt war. Davon zeugt auch seine Grabinschrift, die allerdings streckenweise so in Mitleidenschaft gezogen ist, dass ich sie nicht entziffern kann. Vielleicht kann einer der werten Leser ein bisschen mehr erkennen. Ich wäre um jeden Tipp dankbar (Diesem Aufruf ist Leser Willi Wamser übrigens hier gefolgt. Tausend Dank für die immense Recherchearbeit!).
<…> lepidique sales, lepidaeque Camenae.>
Iucundique ioci, Satyri Saturaeque valete!
Quibuscum et saeculo valedixit
Illustris quondam vir Monacensis.
Dr. Martinus Schleich
defunctus 13. Oct. 1881
natus 12. Febr. 1827
Qui hoc epigramma sibi fieri voluit:
Iacet. Tacet. Placet.
Übersetzung:
Lebt wohl, lässige Witze, lässige Musen…
Angenehme Scherze, Satyrn und Satiren.
Zusammen mit diesen und dem Jahrhundert hat sich der einst berühmte Münchner
Dr. Martin Schleich verabschiedet;
gestorben am 13. Oktober 1881,
geboren am 12. Februar 1827.
Er wollte, dass für ihn der folgende Grabspruch angefertigt wird:
(Hier) liegt er. (Hier) schweigt er. Das gefällt.
Das lateinische Pendant zu “Klappe zu, Affe tot!”
Der Münchner Südfriedhof bei schönstem Frühlingswetter
Und hier nochmal in 3D:
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