Für einige meiner Kollegen ist das Abhalten von Schulaufgaben eine Wohltat in einem hektischen Schultag. 45, bestenfalls sogar 90 Minuten kann man die Schüler ungestört arbeiten lassen, während man selber ein bisschen zur Ruhe kommt und durchschnauft. Ich hasse diese Zeiten. Ich würde so gerne in dieser Zeit etwas Produktives machen, vielleicht etwas wegarbeiten, aber das kann man sich vollkommen abschminken. Immerhin hockt man vor 30 Herren und Damen, von denen einige nur allzu gerne einen Blick zum Nachbarn riskieren möchten. Hilft also nix, man muss mit Argusaugen über seine Schäfchen wachen. Oder zumindest so tun. Denn früher oder später packt mich dann doch der Lagerkoller und meine Professionalität verabschiedet sich ins Wochenende. Hier mal eine beispielhafte Aufstellung von Aktivitäten während 90 Minuten Oberstufenklausur, die irgendwann eskalieren:
- Schülerbögen austeilen und beschriften lassen
- Angabe der Schulaufgabe ausgeben
- Mít Schülern eventuelle Fragen klären
- um absolute Ruhe bitten
- Arbeitszeit verkünden
- Viel Erfolg wünschen
- Hinsetzen
- Schülerschaft scannen
- aus dem Fenster blicken
- Schülerschaft scannen
- Weihnachtsgeschenke überdenken
- Schülerschaft scannen
- Nachmittag mit Korrekturen im Kopf vorskizzieren
- Laut aufseufzen
- Schülerschaft scannen
- Auf und ab gehen
- Schülerschaft scannen
- Schüler 1 wegen Spickversuchs ermahnen
- Der Schnuffelnase in der 3. Reihe mit väterlich-sorgenvollem Blick ein Taschentuch reichen
- Restzeit durchsagen
- Auf und ab gehen
- Schülerin 2 wegen Spickversuchs ermahnen
- Hinsetzen
- Schülerschaft scannen
- Schüler 3 wegen raschelnden Pausenbrotpapiers genervt mit den Augen fixieren
- Blickduell mit Schüler 3 initiieren
- Blickduell gewinnen: Schüler 3 packt mit hängenden Schultern sein Essen weg
- Schülerschaft scannen
- Aufseufzen
- Gelangweilt die Tafel nass wischen
- Hinsetzen
- Aufstehen
- Schülerschaft scannen
- Schüler 4 von der Seite anreden, weil er absichtlich seinen Nachbarn stört und ihm ständig mit der Hand über das Gesicht fährt
- Zusatzblätter austeilen
- Restblätter durchzählen
- Schüler 4 erneut blöd anreden, weil er den Nachbarn stört
- Blickduell mit Schüler 4 beginnen
- Blickduell gewinnen
- Schülerschaft scannen
- Arbeitszeit durchgeben
- Durch die Klasse gehen
- Schüler 4 durch das Werfen des Tafelschwammes von erneutem Störversuch abhalten
- Blickduell mit Schüler 4 gewinnen
- Zur Tafel drehen und merken, wie Schüler 4 wieder ärgern möchte.
- Hinsetzen
- Racheplan an Schüler 4 planen
- Aufstehen
- Schüler 4 mit dem Klassenbesen traktieren
- Schüler 4 mit dem Klassenbesen über die Angabe wischen
- Zwischenfrage beantworten
- Arbeitszeit durchgeben
- Schülerschaft scannen
- Aufstehen
- Zusatzblätter austeilen
- Schüler 4 mit dem Klassenbesen über die Kleidung streichen
- Arbeitszeit durchgeben
- Schüler 4 wortlos das Lexikon zuklappen, damit er nicht mehr nachschlagen kann.
- Arbeitszeit durchgeben
- Neben Schüler 4 wortlos stehen bleiben und ihn durchdringend anblicken.
- Letzte Arbeitsminuten durchgeben
- Blickduell mit Schüler 4 beginnen und gewinnen
- Arbeiten einsammeln
- Schüler 4 die Arbeit als erstes aus den Fingern reißen
- Klasse entlassen
Disclaimer: Im Verlauf der Schulaufgabe ist kein Schüler 4 zu Schaden gekommen. Ich kenne ihn seit der fünften Klasse und er ist genau wie in der Oberstufe das, was man früher einen kleinen Unhold nannte. Eine solche Behandlung wird ihn nicht von der Top-Leistung abbringen, die er trotz seiner Streiche über die Jahre gebracht hat.
4 Comments
jmklinge
Hihi,
Ich war mal arg versucht, einer konzentrierten Nachschreiben in der Biosammlung die Hand eines Sammlungsskeletts auf die Schulter zu legen. Hab mich dann aber doch nicht getraut…
herr_mess
Sehr geil 🙂
Gretel
Genialer Eintrag, Herr Kollege, Hut ab 🙂
(Ich stelle dabei fest, ich kann mir dagegen meistens sogar das Nachschauen im Tablet leisten..)
lilohenner
Du Armer, ich korrigiere, lese, trinke Kaffee, entspanne. Im Neigungskurs kann ich jedem eine eigene Bank zuweisen, dann muss alles weggepackt sein (außer leeren Blättern und einigen Stiften) und dem Essen (letzter Notnagel für Ängstliche). In einem Jahrgang musste man noch die Trinkflaschen kontrollieren, da die Schüler die Etiketten eingescannt hatten und dieses kleingedruckte Zeugs als Spicker missbraucht hatten – sehr kreativ! Und dann geht es los – zwei, drei Stunden Ruhe. Einzige Störung: “Frau Henner, kann ich mir noch ein Blatt rausnehmen, meine sind alle?” Eigentlich traumhaft, wenn ich nur nicht an diese vielen Seiten geistige Ergüsse denken müsste, die dann wieder auf mich warten… wann ist noch mal die nächste Klausur, dass ich die korrigieren kann? 😀