• Allgemeines,  Alltag,  Unterricht

    Runde 4 der Edublogparade 2024: Lehrkräfte, die uns beeindruckt haben

    Es ist Zeit für Runde 4 der Edublogparade 2024. Das Thema: Lehrkräfte, die Teenager beeindrucken – jaja, sowas kommt vor. Und für jeden passiert das aus anderen Gründen. Die einen fahren durch ihr schieres Sachwissen Respekt ein, andere überzeugen durch ihre Art. Mein Exemplar hatte beides. Und auch wenn ich ihn nur kurz als Sprachenlehrer hatte, ist er mir bis heute in Erinnerung geblieben.

    Es ist 1996…

    Wir bekamen ihn in der zehnten Klasse in Englisch und Französisch (und wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, war er sogar unser Klassenlehrer) – oder besser gesagt: wir sollten ihn bekommen. Das Schuljahr ging nämlich ohne ihn los. Aus Krankheitsgründen fiel er bis zum Halbjahr aus. Die beiden Sprachenfächer übernahmen solange zwei Kolleginnen und Kollegen von ihm. Mit denen kamen wir durch die Bank gut aus. Das war aber auch kein Wunder: Wir galten als Klasse als insgesamt sehr verträglich. Und so startete das Jahr nach anfänglichem Durcheinander – ohne Klassenlehrer fehlt schon etwas die Richtung – ganz ok. Es gab die typischen Ups and Downs eines Schuljahres für eine Mittelstufe. Frankreichaustausch, erste Schulaufgaben, Klassenparties, Kontakt mit Alkohol, Tanzkurs. Die Routine eines Schuljahres ließ uns vergessen, dass wir in zwei Hauptfächern Ersatzlehrkräfte stecken hatten und uns der Klassenlehrer fehlte. Und dann kam das Halbjahr. Und mit ihm kam er.

    Er war eine echte Erscheinung. Groß, athletisch, dynamisch – und mit einem perfekten Sprachenakzent sowohl in Englisch als auch Französisch. Mich beeindruckte diese Authentizität von Anfang an. Und die legte er auch bei allem anderen an den Tag. Er verstellte sich nicht. In den 90ern, wo wir an unserem Kleinstadtgymnasium schon noch das eine oder andere biedere Exemplar an Unnahbarkeit am Pult sitzen hatten, pfiff er auf Distanz. Er ging von Anfang an auf Tuchfühlung und Nähe. Persönliche Geschichten von sich und seiner Familie gehörten für ihn zur Tagesordnung, ebenso wie das ständige Sprechen über unsere Hobbies und Freizeitaktivitäten – natürlich in der jeweiligen Fremdsprache. Sein Interesse wirkte nie geheuchelt. Es war echt. Und er nutzte es im Unterricht regelmäßig, um uns ins Geschehen reinzuziehen:

    Lektionstexte zu Jugendthemen, die uns zu aufgesetzt vorkamen, ließ er kurzerhand von uns umschreiben. Rezepte, die in unseren Lehrwerken abgedruckt waren, wurden konsequent nachgekocht und im Unterricht verzehrt und in Rezensionen bewertet. Musik und Filme, die uns bewegten, waren immer wieder Teil von Diskussionen. Unsere privaten Anliegen und Interessen waren immer wieder Teile von Aufgaben in Prüfungen, die er absichtlich einbaute und uns so das Gefühl gab ständig gehört zu werden.

    Aus heutiger Sicht mag das selbstverständlich klingen. Aber ich bin noch Teil einer Schülergeneration, in der man von manchen Lehrkräften ausschließlich mit Nachnamen angesprochen wurde. In der man Klassenarbeiten namentlich und nach Zensuren verteilte. Oder offensichtlicher Willkür oft schutzlos ausgeliefert war. Bei ihm war das nie Thema. Man hatte “Wohlfühlunterricht”. Es gab immer was geboten. Unvergessen die Stunde, als er beim Thema Bürgerrechtsbewegung unvermittelt auf das Lehrerpult stieg und Martin Luther Kings berühmte Rede auswendig aus dem Kopf vortrug. Komplett mit theaterreifer Gestik, Mimik und Betonung. Er hat uns einen waschechten Dead Poets’ Society-Moment beschert, den ich so nie wieder erlebt habe. Spätestens ab da hatte er uns gewonnen.

    Ein Jahr später

    Umso trauriger waren wir damals dann, als in der elften Klasse nur noch ein Teil von uns ihn in Französisch bekam. Die Klasse wurde in Französisch aufgeteilt. Wieso, wussten wir nicht. Meinereiner war bei einer anderen Lehrkraft im Unterricht. Auch dieser war nicht schlecht. Aber er war nun mal nicht so wie im letzten Jahr. Die Spuren, die er bei uns im Französischunterricht hinterlassen hatte, waren deutlich zu spüren – und es schmerzte, dass sie nicht vollständig ausgefüllt werden konnten. Er war einfach one of a kind. Und so haben wir ihn alle bis heute im Gedächtnis behalten. Auf den wenigen Abitreffen, auf denen wir uns zusammenfinden, fällt sein Name immer wieder. Wir reden über seinen aufregenden Unterricht. Über seine herzliche Art. Und dann auch über die große Leere, die er zurückließ, als er nicht mehr war.

    Das war in den Osterferien der elften Klasse, als er mit einem Teil von uns auf Schüleraustausch in die Vereinigten Staaten aufbrach. Und nie wieder zurückkehrte. Was in den Ostertagen damals tatsächlich passiert war, ist uns bis heute nicht hundertprozentig bekannt. Wir wurden in der Schule lediglich mit den Fakten konfrontiert: Suizid. Auf dem Schüleraustausch. Mich schaudert es heute noch, wenn ich an den Ausnahmezustand zurückdenke, in den uns dieses Wort schleuderte.

    Die Klassenkameraden und Begleitlehrkräfte kamen verfrüht und mit blassen Gesichtern zurück. Viele seiner Kolleginnen und Kollegen, die wir als Fels in der Brandung erlebten, brachen vor unseren Augen im Unterricht weinend zusammen oder rannten tränenüberströmt aus dem Klassenzimmer, wenn das Thema in Durchsagen zur Sprache kam. Es wurde auch absolut nicht im Unterricht bearbeitet. Auffangen durch gab es nicht. Keine Beratungslehrkraft oder Schulpsychologe trat in Erscheinung. Es gab nur uns und dieses explosive Bündel an giftigen Emotionen: Trauer, Hilflosigkeit, Wut, Fassungslosigkeit, Angst. Wie wir damit umgehen sollten, war uns überlassen: Sowohl dem Kollegium als auch uns.

    Ich weiß noch, dass wir als ehemalige Klasse seiner Familie einen langen Brief schreiben wollten. Andere hatten Pläne über eine Radiostation für ihn und seine Familie ein Lied zu spielen. Was daraus geworden ist, kann ich nicht mehr sagen. Das ist schon bald 30 Jahre her. Aber ich denke regelmäßig in der Oberstufe an ihn, wenn es beim Thema Civil Rights Movement um Martin Luther King geht – und ich wirklich jedes Mal darüber nachdenke, auf einen Tisch zu klettern und auswendig I have a dream an mein Publikum zu schmettern. Ich hab es noch nie durchgezogen. An Legenden reicht man halt einfach nie so richtig ran.

    Hast du eine Meinung dazu? Dann hinterlasse einen Kommentar oder eine Wertung.
    4.7
  • Allgemeines,  Alltag

    Farbe bekennen

    “Haben Sie etwa ein rosarotes Hemd an!?” Die Empörung in der Stimme ist deutlich zu hören. Und am Gesichtsausdruck des Fünftklässlers, zu der sie gehört, auch zu sehen: Die Augen sind geweitet, der Mund steht offen. Es ist klar: Hier steht meine Autorität auf dem Spiel. Wenn ich das versaue, ist es um mich geschehen. Also gehe ich in die Offensive. Buchstäblich.

    Ich mache ein paar entschiedene Schritte auf den laufenden Meter zu, schaue ihm direkt in die Augen und mache ihm klar, dass es sich hier nicht um Rosa handelt, sondern um Apricot. Das hilft im ersten Moment allerdings nur bedingt bei der Deeskalation. “Apricot ist doch keine Farbe!” erwidert der Fünftklässler empört und legt seine Stirn in Runzeln. Natürlich ist es eine Farbe, sage ich, und das Hemd ist der Beweis. Hinter der gerunzelten Stirn beginnt es zu arbeiten. Aber ich bin noch nicht vom Haken. Das Misstrauen ist noch nicht gewichen. Es folgt der Endgegner: “Ist Lehrersein nicht langweilig?”, will er wissen. “Sie unterrichten doch ständig Sachen, die Sie sowieso schon wissen.” Überhaupt nicht, erwidere ich. Ich hab ja täglich mit so coolen Typen wie dir zu tun. Damit wird es nie langweilig.

    Die gerunzelte Stirn entspannt sich. Und im Gesicht erscheint ein breites Lächeln. Der hat gesessen – und zwar im positiven Sinne. Test bestanden.

    Hast du eine Meinung dazu? Dann hinterlasse einen Kommentar oder eine Wertung.
    3.5
  • Allgemeines,  Technik

    Guter Start?

    So, erste Woche geschafft. Natürlich kann man von den paar Tagen wenig über das anstehende Schuljahr zu werden. Aber es verspricht ein spannendes zu werden. Langweilig wird’s auf jeden Fall nicht: Externe Evaluationen stehen an, ebenso eine Jubiläumsfeier. Und wenn alles glatt läuft, wird unser Schulgebäude Ende des Schuljahres nun TATSÄCHLICH fertig. Der Baustellen-Zustand ist auch ein Jahr nach dem Umzug noch nicht passé. Zu allem Überfluss waren über die Ferien wohl ein paar Firmen im Haus, die eher geschadet als genutzt haben: Diverse Techniker haben an unseren Mediensäulen herumgespielt und sind nach Dienstschluss einfach abgezogen, ohne die Stecker wieder zurückversetzt zu haben. Das Ergebnis waren drei Klassenzimmer ohne Strom, zwei ohne Internet. Das nervt. Ebenso wie die Herrschaften, die einmal im Jahr anrücken, um die Stecker im Haus zu warten (weshalb auch immer). Ergo gehen sie durch jedes Zimmer in der Schule und pappen nach eingehender Prüfung ihre Gütesiegel auf die Stecker. Auf JEDEN Stecker. Mein PC-Raum, in dem ich in durchsichtigen Kisten gefühlt 300 Ersatzkabel lagere, haben ungelogen auf jedem einzelnen Stecker ein solches angebracht bekommen. Auch die in den Klassenzimmern – an sich ja löblich. Nicht so löblich ist die Art, wie das vonstatten gegangen ist. Wenn man nicht sofort beim Warten an die Stecker kam, wurden sie einfach mit Gewalt unter den Medientischen hervorgerissen… und oft genauso auch nach der Prüfung belassen. In knapp sieben Klassenzimmern sah die Technik am ersten Schultag tatsächlich so aus:

    Profis am Werk

    Oder auch so:

    NOCH mehr Profis am Werk

    Ich werde stinksauer bei sowas, denn das bedeutet wieder, dass ich mit meinen Medienwarten durch die Klassenzimmer tingeln darf, um Chaos zu ordnen, das angebliche Profis hinterlassen haben. Die Stunden, die uns das kostet, könnte man weitaus besser nutzen. Den Schuldigen aufsuchen ist zwecklos, denn wir bekommen nicht gesagt, wer in den Ferien was wo gemacht hat. So ist der Start in ein neues Schuljahr für mich als Systembetreuer immer ein bisschen wie eine Wundertüte mit unbekanntem Inhalt…

    Zum Glück haben wir schönstes Spätsommerwetter, das den Ärger etwas verfliegen lässt. Und es ist just heute Anstich am Oktoberfest. Die Stadt wird in den nächsten Wochen ergo wieder aus alles Nähten platzen – vor allem, nachdem die Wiesn in den letzten Jahren mehrmals ins Wasser gefallen ist. Zweimal wegen Corona, und dann einmal buchstäblich, weil es nur geregnet hat. Entsprechend ausgehungert sind die Leute nach dem Spektakel. Ich werd mich bestimmt auch das eine oder andere Mal aufraffen. Aber ich bin definitiv kein ausgemachter Fan vom Oktoberfest. Als gebürtiger Münchner versteht man den Hype um die Veranstaltung ohnehin kaum. Für uns ist es halt ein Volksfest. Und ein sauteures noch dazu: Eine Wiesn-Maß für 15€, Wiener Schnitzel für 33€, eine Suppe für 17€. Das überlegt man sich zweimal. Zumindest ich. Aber das Heulen um die Preise gehört irgendwie auch dazu. Und so lange wir für sowas so viel Kohle auslegen, kann es uns scheinbar doch nicht so schlimm gehen.

    Hast du eine Meinung dazu? Dann hinterlasse einen Kommentar oder eine Wertung.
    4
  • Allgemeines,  Alltag,  Unterricht

    Kekse lügen nicht

    Plätzchen im August? Ja, so habe ich auch geschaut, als ich heute meine Klasse in die Sommerferien entlassen habe, und von zwei Fans eine Tüte mit Selbstgebackenem geschenkt bekam. Aber das nicht nicht irgendwelche Plätzchen. Es sind ganz besondere Exemplare. Sie sind nämlich personalisiert und repräsentieren durch die Bank Dinge, die ich mag… Oder auch nicht. Wer mich tiefenpsychologisch mal näher analysieren wollte… look no further. Die Karten Kekse lügen nicht…
    Im Bild zu sehen:

    • Ein Laptop (könnte auch ein Gameboy sein 😁): Steht für meine Technikaffinität.
    • Eine Kaffeetasse: Steht für meinen Koffeinkonsum, den ich eigentlich meinen Klassen immer sehr zu verheimlichen trachte. Ich vermute eine undichte Stelle im Kollegium, die hierzu nähere Informationen geliefert hat.
    • Ein durchgestrichener Fußball: Meine Gleichgültigkeit gegenüber dieser Sportart kann ich leider weniger vor den Klassen verbergen als mein latentes Kaffeeproblem.
    • Ein Hund: Ich bin definitiv Mitglied im Team Hund. Auch wenn das gebackene Exemplar an einen Pudel erinnert, mit denen ich tatsächlich nicht so viel anfangen kann. Dabei wären Dackel bestimmt viel leichter zu backen gewesen.
    • Ein Dinosaurier: Aus einem erst kürzlichen Gespräch am Wandertag wurde mir die Information entlockt, dass mir Dinosaurier eigentlich egal sind (ähnlich wie Fußball). Ausnahme stellt lediglich der Brontosaurus dar. Die gemächlich vor sich hin ziehenden Pflanzenfresser fand ich auch schon in Jurassic Park anno 1993 ganz cool.
    Hast du eine Meinung dazu? Dann hinterlasse einen Kommentar oder eine Wertung.
    5
  • Allgemeines,  Alltag

    Dit is Berlin

    Die letzten Wochen vor den Sommerferien beginnen. Finale. Oder wie es der Volksmund sagt: “Ihr habt ja jetzt eh nix mehr  zu tun.” Genau. Und deswegen stecken wir mitten drin in der Zeugniserstellung. Klassen- und Lehrerkonferenz starten im Anschluss an den regulären Unterricht in den Nachmittagsstunden und ziehen sich gerne mal bis 19.00 Uhr. Wir planen Wandertage, reservieren Gruppentickets, stellen Buchungen für die Klassen sicher. Sammeln Geld ein für Eintritt und öffentlichen Nahverkehr. Wir stecken in den Vorbereitungen für den Museumstag – oder sind eine komplette Arbeitswoche rund um die Uhr im Dienst, um die fünften Klassen im Schullandheim bei Laune zu halten. Oder wie in unserem Fall: Knapp 80 Zehntklässler in Berlin.

    Wir fahren nach Berlin!

    Unter den Teenagern, mit denen wir seit Tagen durch die Häuserschluchten der Hauptstadt ziehen, sind auch Teile meiner ehemals fünften Klasse dabei, die ich vor fünf Jahren an unserem Gymnasium begrüßt habe – eine echt tolle Truppe damals, die nicht nur lernbegierig, sondern auch richtig witzig war. Mit ihnen habe ich Marleen von Marianne Rosenberg samt Choreographie einstudiert, damit sie beim Einsammeln von Prüfungen und Übungen die Hände von den Stiften lassen oder die schwäb’sche Eisebahne besungen. Wir haben zu einer Drum Machine im Chor dekliniert. Lauter so herzerfrischend nutzloser Kram, den wir da veranstaltet haben. Aber diese Zeiten liegen nun hinter uns. Wir sind älter geworden. Sie sind älter geworden. Und aus den Kindern von damals wurden junge Erwachsene, die kurz vor dem Eintritt in die gymnasiale Oberstufe stehen. Nix mit Schabernack mehr. Viel zu kindisch. Außerdem haben wir in der riesigen Gruppe an Leuten sowieso kaum Berührungspunkte über die Woche. Die Zehntklässler, die ich von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit begleite, kenne ich kaum. Sie sind aus Klassen, die ich nie im Unterricht hatte. Auch sonst komme ich mit meinen ehemaligen Schützlingen kaum ins Gespräch. Das Programm ist packevoll, die Wege lang, die Temperaturen konsequent jenseits der 30 Grad. Da fehlt einfach die Zeit für entsprechenden Smalltalk.
    Nur einmal in der Tram komme ich mit zehn “meiner” Jungs ins Gespräch. Sie präsentieren sichtlich stolz die fliederfarbenen Tanktops, die sie allesamt in einem der Läden am Alexanderplatz erworben haben. Wie lila Schlümpfe stehen sind eng aneinander gequetscht in der Tram. “Ihr seht fast ein bisschen aus wie eine Boyband. Fehlt nur noch eine Choreo”, meine ich. Sie lächeln verlegen bis zur nächsten Haltestelle, und raus sind sie. Auf dem Weg in die Kulturbrauerei im Prenzlauer Berg. Ich fahre weiter mit meinen Leuten nach Hohenschönhausen in das ehemalige Stasi-Gefängnis, und wir lassen uns von ehemaligen Häftlingen durch diesen unheimlichen Ort der nicht so weit zurück liegenden Vergangenheit führen. Durch miefige Keller, Internierungszellen und piefige Büros mit ockerfarbenen Mustertapeten und mausgrauen Polstermöbeln. Wir lauschen gebannt den Ausführungen unseres Guides über die Verhörmethoden der Stasi, lesen uns durch Akten, in denen die mitunter lächerlichen Verhaftungsgründe der Insassen dokumentiert sind – und kehren letztlich geplättet von Eindrücken und der Tristesse des Ortes irgendwann ins Hotel zurück. Uff…

    Nachtschicht

    Entsprechend fertig bin ich, als ich am Abend mit der Zimmerkontrolle beginne. Und verwirrt, als ich im Zimmer meiner “alten” Zehntklässler stehe. Es sieht aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen: die Kissen liegen am Boden,  die Einkaufstüten sind hastig in eine Ecke gepfeffert. Die Betten wurden zur Seite geschoben und stehen kreuz und quer im Raum. Hauptsache die neuen Flieder – Tanktops, die sie am Körper tragen, sind unversehrt und trösten über das Chaos hinweg. Ich bin sofort genervt. Nach dem langen Tag jetzt auch noch schimpfen. Das brauch ich gerade noch. “Was ist denn hier los?” frage ich hörbar genervt in den Raum. Der Rädelsführer des Männerrudels tritt etwas verunsichert hervor. “Wir haben für Sie eine Choreographie einstudiert”. Und auf einmal formieren sich die vier Jungs zu zwei Pärchen und führen mir eine astreine Tanzeinlage zu Dancing Queen vor. Mit Drehungen, Schrittfolgen, Handwechsel. Das ganze Programm. Vier Jungs, von denen mir jeder einzelne größentechnisch problemlos auf den Kopf spucken könnte, hüpfen hochkonzentriert vor mir herum – und ich versteh die Welt nicht mehr… bis ich mich an das Gespräch in der Tram erinnere. Mein Ärger verfliegt sofort. Es ist wieder genauso wie vor fünf Jahren. Der Schalk sitzt den Teenies noch genauso im Nacken wie damals. Entsprechend überschwänglich bedanke ich mich am Ende für die Performance – und werde gleich ein Zimmer weitergeschickt, wo mich die nächste Einlage erwartet. Auch hier steht ein Quartett in Flieder bereit. Und tanzt mir vor. Zu einem Mixtape von der schwäb’schen Eisebahne, das mitten drin plötzlich zu Marleen überblendet. Die Musik schallt den ganzen Gang entlang. Irgendwann stehen meine Kollegen mit in der Tür und blicken etwas ratlos auf das Szenario. “Was soll das denn?”, werde ich gefragt. Tja, dit is meene fünfte Klasse <3!

    Hast du eine Meinung dazu? Dann hinterlasse einen Kommentar oder eine Wertung.
    4.6
  • Allgemeines,  Pädagogik,  Unterricht

    Spontan sprechen: Schulentwicklung mit der Oberstufe

    Einer unserer pädagogischen Nachmittage in diesem Schuljahr widmete sich der Evaluation unserer Situation in unserem Schulgebäude und der Eruierung von Desideraten, derer man sich nun annehmen möchte. Die Stimmung war gelassen und produktiv. Das lag vor allem auch an der Durchführung durch zwei Damen der MB-Dienststelle, die uns an das Thema mit ein paar netten Methoden herangeführt hat, die ich mir gleich für den Kommunikationskurs gekrallt habe. Denn das Thema lässt sich wirklich 1:1 in einer Doppelstunde durchführen.

    Phase 1: Eruieren von Diskussionsfeldern

    In einem Zumpad sammeln die SuS zu Beginn schriftlich Themen, die sie für diskussionsdürftig halten. Frisch von der Leber, ohne Begrenzung auf einen Fixpunkt. Alles ist erlaubt. Die fertige Auslistung wird so, wie sie ist, in eine vorbereitete mebis-Abstimmung überführt (copy and paste in das Eingabefeld) und als Multiple Choice Frage angelegt, in der die Lerngruppe mehrere Antworten anklicken kann. Dann wird über die angelegten Themen demokratisch per Mausklick abgestimmt. Die Leute können hierbei drei Stimmen vergeben. Die drei gewichtigsten Themen wurden zur Diskussionsgrundlage in der Stunde erhoben. Für mich als Lehrkraft wirklich sehr interessant, da man wieder mal sieht, wie komplett anders die Kinder die Baustellensituation bei uns an der Schule erleben.

    Phase 2: World Café

    Wir erstellen nun drei “Diskussionsinseln” durch das Zusammenschieben von Tischen und breiten auf jeder Insel ein großes Din/A2-Plakat als “Tischdecke” aus, auf der jeweils ein Trennstrich eine Zweiteilung andeutet. Jedem der Tische wird nun eines der drei Themen zugeordnet. Die Lerngruppe postiert sich nun an einem Tisch zu einem der drei Themen nach Belieben und diskutiert nun in Kleingruppen über sieben Minuten. Auf der Tischdecke soll jeweils auf der einen Seite der positive Status Quo des Themas festgehalten werden. Auf die rechten Seite schreiben die Leute die eruierten Desiderate auf und formulieren gleichzeitig hierzu mögliche Lösungsansätze.

    Nach Ende der Arbeitszeit löst sich die Tischgesellschaft auf und jeder setzt an einen neuen Tisch, dem ein anderes Thema zugeordnet ist. In den sieben Minuten sollen sie sich zunächst die Notizen der Vorgruppe ansehen und gegebenenfalls ergänzen, kommentieren, diskutieren und bewerten. Runde drei läuft ebenso. So hat nach dem Ende des letzten Vorgangs jeder Teilnehmende zu jedem der drei Themen ausreichend Kontakt gehabt.

    Phase 3: Wrapping things up

    In einem letzten Schritt wird nun jede Gruppe dazu beauftragt, zu ihrem vorliegenden Thema die drei Anregungen zu wählen, die am vielversprechendsten klingen, und diese jeweils auf eine von drei Kärtchen zu schreiben. Anschließend wird ein Teilnehmer pro Gruppe an die Tafel gebeten und hat zwei Minuten zeigt, die drei Lösungen überzeugend vorzubringen. Jedes der Kärtchen wird nach der Besprechung an der Tafel fixiert. So wird mit allen drei Gruppen verfahren, sodass am Ende neun Kärtchen mit Lösungsvorschlägen an der Tafel zu lesen sind.

    Phase 4: One for the road

    Zum Ende der Sequenz erhält jeder in der Gruppe drei Punkte zum Ankleben. Diese kleben sie beim Verlassen des Zimmers an die drei der neun Lösungen, denen sie am meisten zustimmen. Am pädagogischen Nachmittag wäre dieses Trio dann der Fokus unserer Entwicklungsbestrebungen. Im Konversationkurs haben wir so Stoff für weitere Diskussionen in der nächsten Stunde.

    Hast du eine Meinung dazu? Dann hinterlasse einen Kommentar oder eine Wertung.
    0
  • Allgemeines,  Pädagogik,  Unterricht

    Vom Abschied auf Zeit – Teil II

    Falls ihr euch gefragt habt, was das dicke Ende war, auf das ich Anfang der Woche spekuliert hatte. Hier ist es:
    Eine komplette Klasse, die für mich Spalier steht. Tosender Applaus. Ein Kuchen- und Tortenbuffet nur für mich mit allem, was dazu gehört: Säfte, Limo, Knabbereien. Eine große Kiste mit 26 teilweise hoch emotionalen Abschiedsbriefen.  Ein Lorbeerkranz für den magister laureatus. Eine große Fotorunde mit allen. Ein paar Tränen. Und ein großes “Auf Wiedersehen”, als ob ich die Schule für immer verlasse. Dabei wechsle ich ja nur das Fach.
    Und jeder, der nun behauptet, das Lehramt das Unterrichten sei ein furchtbarer Beruf, hat entweder keine Ahnung oder etwas fundamental falsch gemacht!

     

    Hast du eine Meinung dazu? Dann hinterlasse einen Kommentar oder eine Wertung.
    4.7
  • Allgemeines,  Alltag,  Unterricht

    Vom Abschied auf Zeit

    So wie es aussieht, bin ich ab diesem Halbjahr leider meine Klasse in Latein los. Grund ist der Weggang eines Kollegen, der bei uns Informatiklehrer war. Als Ersatz schickt uns das Ministerium… eine Lehrkraft mit Latein und Altgriechisch – was uns nicht im Entferntesten weiterhilft.

    Deswegen wurde jetzt eine Lösung ersonnen. Der neue Kollege bekommt meinen Lateinunterricht und ich übernehme ab dem Halbjahr die entstandenen Lücken in Informatik. Fachfremd. Aber ein Systembetreuer kann das ja. Wir werden sehen.
    Die Nachricht über unsere anstehende Trennung führte zwischen meiner Klasse und mir zum Durchleben der klassischen Phasen einer traumatischen Erfahrung. Nach einer Stunde elegischen Klagens fanden wir uns zunächst im Stadium der


    Verleugnung

    wieder. Die Kinder gingen in der ersten Hälfte der Woche davon aus, dass ich sie ärgern möchte und alles nur ein Streich sei. In der zweiten hofften sie auf eine Änderung der Personalsituation. Genauso wie ich. Vielleicht überlegt es sich ja der Informatikkollege nochmal mit dem Weggang. Oder der neue Kollege sagt ab, weil er München furchtbar findet. Aber nichts dergleichen passierte. Und so fanden wir uns in Phase 2:


    Wut

    Vor meinen Augen wurden in der Klasse nun diverse Rachepläne geschmiedet. Wie kann man dem aktuellen Informatiklehrer das Leben zur Hölle machen? Wie boykottiert man am ehesten den Unterricht meines Nachfolgers? Meine Beschwichtigungsversuche in dieser Richtung wurden allesamt ignoriert. Man war sauer. Und das wollte man sich nicht nehmen lassen. Und so rutschten wir in Phase 3:


    Verhandlung

    Eine Delegation von diplomatisch versierten Mini-Damen formierte sich eines Tages vor dem Büro des stellvertretenden Schulleiters. Mit Hilfe einer Petition, die von der gesamten Klasse unterschrieben war, wollte man den Schicksalsschlag abwenden. Jeden Tag wurde die Schar an Bittstellerinnen größer. Um weiteres Chaos abzuwenden, habe ich mit der Klasse vereinbart, die Klasse im nächsten Jahr wieder zu nehmen – vorausgesetzt es ist machbar. Und so war Phase vier nicht allzu schlimm, auch wenn der Titel es nicht vermuten lässt.


    Depression

    Die Klasse verfällt nur selten ins Klagen und Traurigkeit – nur dann, wenn ich ihnen bei beginnenden Diskussionen aufzeige, wie wenig Stunden wir noch zusammen haben und wir die Zeit deshalb besser nutzen sollten. Das unterstütze ich bildlich mit einem digitalen Kalender, dem ich jede Stunde vor aller Augen ein weiteres Blatt abreiße. Das führt letztendlich zur aktuellen Phase:


    Akzeptanz

    Die Klasse ist musterbrav, Unterrichtsstörungen sind komplett passé. Unser anstehendes Ende sehen wir jetzt mehr und mehr sportlich. Und nachdem ihnen letzte Woche aufgefallen ist, dass mit den letzten fünf Stunden nun the final countdown angebrochen ist, vergeht keine Stunde, in der ich diesen unsäglichen Klassiker einer jeden 80s Party über Spotify anspielen muss. Dann singt die komplette Klasse lauthals mit (sofern sie das nach einem halben Jahr Englischunterricht kann) und übt sich im Headbangen. Und ich bleibe heimlich sehr gerührt zurück. Das dicke Ende kommt ja noch. Nämlich kommenden Freitag. Drei Eltern haben schon angefragt, wann denn die letzte Lateinstunde ist…
    Hast du eine Meinung dazu? Dann hinterlasse einen Kommentar oder eine Wertung.
    5
  • Technik,  Unterricht

    Spontan sprechen: Idioms and Proverbs

    Redewendungen sind in der Fremdsprache immer die berühmte cherry on the cake. Oder war es icing? Sagt man das überhaupt noch? So ging es mir die letzten Wochen immer wieder in der Oberstufe im Englisch-Konversationskurs. Regelmäßig musste ich die Erfahrung machen, dass viele der Redewendungen, die man aus dem Englischen den Lernenden ins Deutsche übertragen möchte, oftmals überhaupt nicht mehr geläufig sind. To be built on sticksauf tönernen Füßen stehen? Noch nie gehört. Für eine Prüfung büffeln oder pauken? Das sagt seit 1995 kein Mensch mehr.

    Klar, diese Schnelllebigkeit von Redewendungen gibt es auch umgekehrt in der Fremdsprache. Dass das berühmte to rain cats and dogs veraltet ist, habe ich schon zu meiner Schulzeit gelernt. Aber ist es dennoch gebräuchlich?

    Vorbereitung

    Um das und mehr rauszufinden habe ich dem Kurs letzte Woche ein bisschen was mit H5P gezaubert. Nämlich zwei niederschwellige Aktivitäten aus dem Typus Drag the Words, in dem die Lerngruppe Lückentexte mit Idiomen zu fertigen Sätzen ergänzen musste. In einem zweiten Schritt wurden diese Redewendungen auf Entsprechungen in der Muttersprache abgeklopft und kontrastiert. In welchen Farben ärgern sich Leute im Deutschen? Werden sie grün vor Neid? Oder gelb? Selbst bei diesen wirklich gebräuchlichen Redewendungen regte sich schon die eine oder andere Augenbraue im Kurs. Aber damit geht der Spaß erst los.

    Praxisteil

    In einem zweiten Schritt sind die Kinder dran. In Gruppen suchen sie im Netz nach markanten Redewendungen im Englischen und beschränken sich in ihrer Auswahl auf sechs Redewendungen, die interessant scheinen. Damit erstellen sie dann auf ähnliche Weise wie ich auf H5P-Einstieg unter meiner Anleitung eine H5P-Übung aus ihren Redewendungen, die sie mit ein paar Kontextsätzen versehen müssen, damit sich für die Mitlernenden am Ende der Übung auch die Bedeutung der Idiome erschließt – gar nicht so einfach für eine Oberstufe. Denn hier entscheidet sich, ob die Redewendung sinnrichtig gebraucht wird oder eben nicht. Damit kamen ein paar wirklich schöne Übungen raus. Diese zum Beispiel:

    Schülerarbeit

    Diese Übungen laden sie anschließend in mebis in die Aktivität Aufgabe hoch, sodass ich sie als Kursleiter in den mebis-Kurs betten kann. Anschließend stellen sich die Gruppen mit ihren selbst geschaffenen Tests gegenseitig auf die Probe und arbeiten die Übungen als H5P-Aktivität durch. Und ich als Kursleiter kann mich zurücklehnen und dank Aktivitätsübersicht heimlich nachsehen, wie sich meine Schützlinge geschlagen haben. Eine tolle Stunde, die quasi von ganz alleine lief.

    Hast du eine Meinung dazu? Dann hinterlasse einen Kommentar oder eine Wertung.
    5
  • Technik,  Unterricht

    Spontan sprechen: Halloween Horror

    Taskcards wird so langsam wirklich für mich ein kleines Kreativwunder. Eine leere Pinnwand, die es zu füllen gilt – womit, bleibt ganz einem selbst überlassen. Die Möglichkeiten sind endlos, wenn man erst einmal sieht, was die Kollegen damit so alles fabrizieren. Daher will ich dieses Mal nun auch wieder ran und präsentiere das Ergebnis einer superwitzigen Stunde aus meinem heutigen Konversationskurs: Wir haben kollaborativ sukzessive Horrorgeschichten gebastelt – und zwar auf Basis von Taskcards.

    Der blanke Horror

    Die Arbeitsschritte hierzu waren auf einer Pinnwand im Wochentagformat hinterlegt. In den Spalten darunter findet der Kurs endlos Platz, um das Material hochzuladen. Am Anfang steht eine lose Stoffsammlung von Bildern und Eindrücken, die kollaborativ zusammengetragen werden: Zu Beginn von künstlichen Bildern, die von der AI Craiyon produziert werden – nämlich auf Grund von grusligen Begriffen, mit denen das Programm gefüttert wird. Die grusligsten Bilder sollen in Spalte 1 hochgeladen werden, um eine Grundstimmung zu schaffen. Diese werden anschließend um weitere Fotos ergänzt, die der Kurs auf dem Schulgelände erstellt und in dieselbe Spalte lädt. Dadurch kommt buchstäblich ein bisschen Bewegung in die Sache. Und die Kinder erleben ihren Lernort wie einen kleinen Abenteuerspielplatz.

    All diese Bilder werden in einem zweiten Schritt von der jeweiligen Gruppe in eine gewünschte Reihenfolge gebracht, damit auf diese Weise ein kleines Storyboard entsteht. Dazu werden die geschossenen Bilder von Spalte 1 in Spalte 2 gezogen und an ihre neue Position im Handlungsablauf gebracht.

    In Schritt drei wird dieses Storyboard nun der nächsten ahnungslosen Gruppe präsentiert, die aufgrund der Bilder gemeinsam eine Horrorgeschichte entwickelt. Diese nehmen sie in einem nächsten Schritt spontan mit dem Smartphone auf und laden in Schritt 4 ihr Hörspiel in die letzte Spalte der Taskcards hoch.

    Eine Riesengaudi, die ich nur jedem weiterempfehlen kann. Die entsprechende Vorlage zum Weiternutzen findet ihr hier.

    Hast du eine Meinung dazu? Dann hinterlasse einen Kommentar oder eine Wertung.
    0