Disclaimer: Ich agiere bei dem folgenden Thema rein auf common sense. Ich weiß nicht mehr darüber als jeder normal sterbliche Lehrkörper, der seit Jahren ohne Arbeitszeiterfassung vor sich hin wurschtelt und es auch nicht anders kennt. Deswegen verzeihe man mir meine Blauäugigkeit bei dem Thema.
Jan-Martin hat sich für Runde Zwei der Edublogparade2024 ein ganz besonderes heißes Eisen aus einer ohnehin heißen Vorauswahl des Bildungsrates von unten gefischt: Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte. Das Thema wabert ja schon seit geraumer Zeit durch die Medienlandschaft und mein Stand der Dinge war ja immer, dass das definitiv kommen soll, die KuK-Konferenz aber darauf noch sehr verhaltend reagiert. Aber man kläre mich gerne auf, wenn es anders sein sollte.
Zu dem Thema gibt es tatsächlich sehr konträre Meinungen. Ich hab mir vorgenommen, die verschiedenen Beiträge der Edublogparade erst hinterher zu lesen, weil ich mir meinen Blutdruck nicht unnötig in die Höhe treiben möchte. Denn theoretisch kann ich mir ein solches System schon gut vorstellen. Theoretisch wohlgemerkt. Denn es hätte ein paar echte Vorteile auf der Hand.
Theorie…
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Transparenz nach außen: Für die Öffentlichkeitsdarstellung würde so ein System zum Teil mit dem Märchen des Halbtagsjobs aufräumen, das der Profession seit geraumer Zeit anhaftet. Kein Wunder, er ist nun mal ein Job außerhalb des üblichen nine-to-five Korsetts. Ob er durch so ein System zu einem wird, ist zu bezweifeln. Aber es könnte zu einer gewissen Normalisierung beitragen.
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Transparenz nach innen: Wer arbeitet wirklich wieviel? Und wie lange? Dieses Thema erhitzt regelmäßig die Gemüter. Auch innerhalb eines Kollegiums. Eine Arbeitszeiterfassung könnte schnell Klarheit schaffen, wer über die Maßen arbeitet oder aber auch nur so tut als ob. Auf diese Weise ließe sich die Last gerechter auf den verschiedenen Schultern verteilen.
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Prävention: Für Außenstehende selten einsehbar, für Eingeweihte Realität: Unser Job ist anstrengend. Er geht an die Substanz. Und gerne auch an unser Stundenkontingent. Korrekturen, Bürokratie, Elterngespräche, Vorbereitungen, Nachbereitungen, Elternabende, Fortbildungen, Projekttage, Exkursionen. Das frisst Zeit. Soviel Zeit, dass wir sie manchmal komplett aus den Augen verlieren. Ich selbst habe nur in zwei, drei Situationen zum Spaß mal die Zeit mitgezählt, um zu sehen, wie viele Stunden ich zu Hochzeiten in den Beruf versenke. Aber über einen längeren Zeitraum habe ich das nie verfolgt. Man schludert schnell beim Mitzählen, vergisst, und plötzlich lässt man es wieder. Man hat ja nichts davon. Hätte ich aber ein System gehabt, das mir suggeriert, dass Mehrarbeit in irgendeiner Art auch mal (ab-)gerechnet und wertgeschätzt wird, hätte ich an vielen Stellen mal den Stecker gezogen. Und ein Wochenende auch mal Wochenende sein lassen.
… und Praxis
Soweit die Theorie: Ich grüble aber tatsächlich angesichts der praktischen Umsetzung: Wie soll so ein System aussehen? Wären wir gezwungen, nur noch am Lehrerdienstgerät zu arbeiten, wo eine Software die Arbeitsstunden zählt. Erkennt sie, ob ich tatsächlich arbeite oder einfach dem Online Shopping fröne? Kann sie technisch unterscheiden zwischen Freizeit und Arbeitszeit? Und was zählt als Arbeitszeit? Wenn ich in den Laden gehe um Lektüren für die Klasse zu kaufen? Wenn ich eine Zusatzschulaufgabe erstelle, weil wieder zwei bei der Prüfung krank waren? Oder wenn ich in Warteschleifen festhänge, um die Zugverbindung für die Klassenfahrt und die dazugehörigen Tarife erfrage? Wie wird das gezählt? Wird das überhaupt gezählt? Zählen nachmittägliche Elterngespräche außerhalb der Sprechstunden, weil es oftmals nicht anders geht? Zählt Bürokratie wie das Erstellen und Abhaken von Listen, Ordnen von Klassenarbeiten für die Respizienz? Erhöhter Korrekturaufwand aufgrund größerer Kurse oder korrekturintensiveren Fächern? Was mache ich mit Klassenfahrten? Bin ich da per se von Aufstehen bis zur Bettruhe im Einsatz? Oder rund um die Uhr? Und was passiert bei Überstunden? Bekomme ich die ausgezahlt? Oder kann ich die ähnlich abfeiern wie in einem Bürojob? Wo würde dann Zeit ausfallen? Wohl nicht Unterricht, oder? Der Lehrplan geht ja trotz der Zusatzbemühungen fürs Klassenklima weiter.
Je länger man drüber nachdenkt, desto mehr Fallstricke fallen auf. Es IST eben kein anderer Job wie jeder anderer.
So, und jetzt ihr…
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16 Comments
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Erik Grundmann
Ich habe mich in der Blogparade auf das Thema Quereinstieg konzentriert, meinen Beitrag aber noch um diesen Aspekt zur Arbeitszeit ergänzt:
Viele Aspekte, die Kontroversität und die Schwierigkeiten bei der Messung von Arbeitszeit von Lehrkräften können in den verschiedenen Blogbeiträgen zur Blogparade nachgelesen werden.
Einen unpopulären Aspekt möchte ich noch ergänzen. Eine wirklich umfassende und exakte Erfassung der Arbeitszeit würde vermutlich große Ungleichheiten innerhalb der Kollegien ergeben, die sich aus der Fächerkombination und dem über den Unterricht hinausgehenden Engagement ergeben. Dazu kommen noch Lebensabschnittsbedingte Disparitäten und mögliche Karriereambitionen. Das birgt enormes Konfliktpotenzial, allerdings gibt es wohl in jedem Beruf “High- und Low-Performer”.
Letztlich lässt sich bei den meisten Berufen, abgesehen vielleicht von der Fließbandarbeit, eine rein am Output orientierte Erfassung von Arbeitszeit und Leistung nicht sinnvoll realisieren.
Dennoch, wer diesen Aspekt sinnvoll zu Ende diskutieren will, muss letztendlich auch über den Beamtenstatus diskutieren, aber das wäre dann vielleicht mal ein schönes Thema für eine andere Blogparade.
herrmess
Da bin ich 100%ig bei dir! Das Offenlegen dieser Disparitäten sehe ich jetzt nicht als Problem. Die sind ja ohnehin da und sorgen bereits jetzt schon mitunter großen Ärger. Nur würden diese Unterschiede dann systemisch erfasst werden.
Aber das Thema Beamtenstatus ist definitiv auch ein Streitthema.
Martin
Hi Matthias,
ich muss jetzt hier mal antworten – im Grunde stellvertretend für diverse Posts in dieser Blogparade – weil mich die Gegenargumente wirklich aufregen.
Und das grundsätzliche Problem, dass manche Leute schneller und manche langsamer arbeiten, hast du doch in jedem Job (Ausnahme ein mit bestimmtem Tempo laufendes Fließband). Im LfF werden sicher auch nicht alle Beihilfe-Anträge gleich schnell abgearbeitet, und nicht jede Schreiner-Gesellin wird geich lang für einen bestimmten Tisch brauchen.
Viele Grüße
Martin
Martin
Oh, jetzt haben meine sitzen Klammern das Layout im Kommentar zerlegt. Aber man erkennt ja trotzdem noch, was von dir / von mir ist. O:-)
Gruß
Martin
herrmess
Danke dir für den langen Input! 🙂 Die Fragen waren ja eher als rhetorisch gesehen. Mir ist schon klar, dass das per se abrechnungswürdige Arbeitszeit wäre. Ich komme von Seminarschulen, da wurde uns immer wieder vorgehalten, was an Aufgaben bei uns mehr oder weniger Nulltarif sind. Damit bin ich über die Jahre groß geworden und hab das auch als selbstverständlich gesehen, dass das einfach zu erledigen ist. Und wenn das in der Freizeit der Fall ist, so be it.
Dass man sich damit auf lange Sicht natürlich auch ein bisschen die Berufsethik für sich selbst zerstört, ist irgendwann die logische Folge.
Nicht falsch verstehen, ich finde die Idee großartig, aber nach den Erfahrungen mit dem Dienstherren bei so anderen auf den ersten Blick großartigen Ideen bin ich skeptisch, dass das System, das man uns eines Tages vorlegen wird, einfach nur wieder Reibungsfläche erzeugt (wie z. B. beim Thema Lehrerdienstgerät, Corona-iPads und deren Wartung, Ausbildungsgeräte…)
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Lærari
“Je länger man drüber nachdenkt, desto mehr Fallstricke fallen auf. ” Da stimme ich dir absolut zu. Seitdem ich mir deinen Artikel vor ein paar Tagen durchgelesen habe, muss ich immer mal wieder darüber nachdenken und ja, jedes Mal fällt mir eine neue Schwierigkeit ein. Deshalb bin ich mir auch nicht sicher, wie ich dem Thema gegenüberstehe. Es ist, wie du sagst, kein Job wie jeder andere.
herrmess
Super spannendes Thema. Mal sehen, wie lange man den Lehrberuf von dieser Verpflichtung der Erfassung entbinden kann. Auf Dauer kann das nicht so bleiben
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