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Saxa Monacensia: Die Inschrift auf der Fassade der Münchener Rück

Unmittelbar vor dem Eingang in den Englischen Garten thront der Hauptsitz der Münchner Rückversicherungs-Gesellschaft: Ein imposanter Bau aus dem Klassizismus mit einem pompösen Vorhof und einem zauberhaften Garten, der leider hinter hohen Mauern und Gitterstäben den Passanten verwehrt ist. Ein Blickfang ist er aber allemal. Und zwar derart, dass man gerne alles andere an dem Gebäude vergisst. Zum Beispiel die Inschrift, die sich nur dem erschließt, der trotz der Schönheit auf dem Boden seinen Kopf auf der Höhe der Bushaltestelle Thiemestraße auch mal gen Himmel ragt.

Die Inschrift an der Fassade der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft

Das dortige lateinische Zitat labor omnia vincit ist auf vielen Gebäuden zu finden. Der Ursprung ist allerdings den wenigsten bekannt. Es stammt nämlich von keinem Geringeren als Vergil, dem legendären Autor der Aeneis. Der Ausspruch ist allerdings einem anderen Werk des römischen Nationaldichters entnommen, nämlich den Georgica. Und das ist in vielfacher Hinsicht bemerkenswert:
Bei den Georgica handelt es sich nämlich um ein Lehrgedicht, das sich vordergründig dem Ackerbau und dem harten Leben der Bauern widmet. Mit einer Versicherungsgesellschaft hat das herzlich wenig zu tun. Aber das kann man der Inschrift nicht zum Vorwurf machen, wenn man sich ansieht, an was für Gebäuden und Wappen sich dieser legendäre Ausspruch sonst noch so findet.
Interessant hierbei: Das Zitat ist in all diesen Inschriften nicht nur aus dem Zusammenhang gerissen, sondern auch noch verkürzt bzw. falsch zitiert. Es fehlt dem Satz nämlich ein ganz wichtiger Zusatz, der Philologen seit Jahrhunderten beschäftigt. Schauen wir uns das mal genauer an:

Der Ausspruch findet sich in Buch 1 der Georgica. Es ist der Moment, in dem Jupiter das goldene Zeitalter der Menschheit absichtlich beendet, in dem alles in Hülle und Fülle vorhanden war:

Ante Iovem nulli subigebant arva coloni;       125

ne signare quidem aut partiri limite campum

fas erat: In medium quaerebant. Ipsaque tellus

omnia liberius nullo poscente ferebat.

Übersetzung:

Vor Jupiter unterwarfen keine Bauern die Fluren.

Und ein Feld mit einer Grenze abzutrennen oder gar zu markieren

war Unrecht. Sie erwarben es zum allgemeinen Gebrauch. Und selbst die Erde

brachte recht bereitwillig alles hervor, ohne dass es jemand forderte.

“Schluss mit dem Luxus!”, sagt Jupiter. Der Mensch soll sich gefälligst quälen und abrackern. Und in der Not wird der Mensch erfinderisch.

Tum laqueis captare feras et fallere visco

inventum et magnos canibus circumdare saltus.

Atque alius latum funda iam verberat amnem

alta petens, pelagoque alius trahit umida lina.

Tum ferri rigor atque argutae lammina serrae

(nam primi cuneis scindebant fissile lignum),

tum variae venere artes. Labor omnia vicit                145

improbus et duris urgens in rebus egestas.

 

Übersetzung:

Darauf wurde die Fähigkeit erfunden mit Schlingen wilde Tiere zu fangen und mit Leim zu täuschen

und große Waldstücke mit Hunden einzukesseln.

Und hier peitscht der eine schon den breiten Strom des Flusses mit seinem Fangnetz

und sucht damit die Tiefe ab, ein anderer zieht das nasse Tau aus dem Meer.

Als nächstes kam die Härte des Eisens und die Blätter der kreischenden Säge

(denn die ersten Menschen spalteten das splittrige Holz noch mit Keilen),

dann weitere Fertigkeiten. Labor improbus

hat alles besiegt ebenso wie die in schweren Zeiten drängende Not.

Das kleine Wörtchen improbus will in diesem Zusammenhang so überhaupt nicht in seiner Ursprungsbedeutung hineinpassen. Generationen kennen das Adjektiv nämlich ausschließlich in der Bedeutung schlecht. Und dass schlechte Arbeit alle Widrigkeiten besiegt, will sich bestimmt niemand an seine Fassade stehen haben. Es muss ja irgendein Lohn hinter dieser Arbeit stecken, daher kann diese Ursprungsbedeutung hier nicht passen. Das bekriteln auch Generationen von Altphilologen und bieten für improbus verschiedene Bedeutungen an, die etwas positiver konnotiert sind: Der bekannte Stowasser erwähnt im Zusammenhang mit der Vergil-Stelle die Bedeutung übermäßig oder anhaltend, der Georges in Frakturschrift rastlos. Niklas Holzberg spricht in seinem Buch über Vergil (Holzberg 2006, 102f.) Richard Jenkyns (Jenkyns 1993, 247) den Übersetzungslorbeer zu, der mit dem Ausdruck die verdammt nochmal harte Arbeit daran erinnert, dass auch im Deutschen negativ konnotierte Wörter mitunter als Verstärker gemeint werden können (Das war wahnsinnig gut/ich habe mich schrecklich gefreut.). Insofern ist bei Vergil Arbeit erst dann lohnenswert, wenn sie fucking hard ist. Insofern ist Vergils Ausspruch der geistige Großvater von Britney Spears’ ikonisch gewordenem Ausspruch Work, B**ch.
Ohne diesen Zusatz wird aus der verdammt nochmal harten Arbeit an der Fassade allerdings einfach nur schnöde Arbeit, der Ausdruck also abgeschwächt. Ob absichtlich (wer denkt schon en passant daran, dass improbus auch andere Bedeutungen in sich tragen kann als in der Schule gelernt?) oder nicht, bleibt ein Geheimnis. Ebenso wie die Tempusveränderung des Verbes (auch vicit im Original ist Präsens geworden). Oder aber auch die abschließende Frage, warum eine antike Version von Work, Bitch! an der Fassade eines Versicherungsgebäudes klebt. Soll das eine Aufforderung sein, möglichst viel zu erwirtschaften, um hinterher sein hart erschuftetes Eigentum für viel Geld in den Schutz einer Versicherung zu geben? Zugegeben: wer es richtig anstellt, wird eine Menge an Zeug zu versichern haben. Eine entsprechende Aufstellung zu versichernder materiellen Güter entnehmen Sie bitte den Lyrics von Frau Spears.

 

Literaturhinweise:
Holzberg, Niklas (2006): Vergil – Der Dichter und sein Werk, München.
Jenkyns, Richard (1993): “Labor improbus” in: Classical Quaterly 43, 243-248.
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