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Saxa Monacensia: Der Münchner Südfriedhof

  1. Tief in der Münchner Innenstadt verborgen, liegt der alte Südfriedhof. Hinter dicken Mauern verhüllt, vergisst man in der Hektik des Alltags viel zu schnell, dass er existiert. Zu groß sind die ständigen Ablenkungen der Umgebung im hippen, leider übergentrifizierten Glockenbachviertel: Überall finden sich zahllose Cafés, Restaurants oder schnuckelige Läden, und dann ist da auch noch das Isarufer, das fußläufig in wenigen Minuten zu erreichen ist, sodass man den Südfriedhof allzu schnell ein wenig ignoriert. Schade eigentlich. Denn der Ort ist ein kleines Juwel, der vor allem im Frühling seine Stärken ausspielt. Dank der hohen Mauern sammelt sich nämlich alles, was die Natur in puncto Fortpflanzung aufbietet, fast ausschließlich innerhalb des Friedhofareals. Wie in einem Kessel zirkulieren Pflanzensamen und Pollen und kommen irgendwann auf den Grünflächen zum Erliegen und Keimen. Und das sieht man: Spätestens ab Mitte März bietet der Südfriedhof in der Frühlingssonne ein nimmer endendes Meer an Krokussen, Osterglocken, Schnee- und Maiglöckchen, die die letzten Ruhestätten von so berühmten Münchnern wie Carl Spitzweg oder Leo von Klenze bevölkern und in ein wunderschönes Farbenspiel tauchen, das – um mal die Jugend zu zitieren – totally instagrammable ist.

Unter den ganzen Grabsteinen und Stelen finden sich – gottlob! – auch die einen oder anderen lateinischen Sinnsprüche, die ich im Zuge einer neuen Folge der Saxa Monacensia gerne vorstellen möchte. Instagrammable? Maybe not, but definitely noteworthy!

Dulcis praeteritorum memoria

Übersetzung:

Süße Erinnerung an die Verstorbenen/Vergangenheit

Per crucem ad lucem

Übersetzung:

Durch/Über das Kreuz ans Licht

In Deo Pax

Übersetzung:

Friede in Gott

Meinen absoluten Favoriten findet man allerdings kurz vor dem Portal in der Mitte des Friedhofs. Es ist der Grabstein von Martin Schleich, der zu Lebzeiten als Dramatiker und Humorist in Münchner Kreisen wohl bekannt war. Davon zeugt auch seine Grabinschrift, die allerdings streckenweise so in Mitleidenschaft gezogen ist, dass ich sie nicht entziffern kann. Vielleicht kann einer der werten Leser ein bisschen mehr erkennen. Ich wäre um jeden Tipp dankbar (Diesem Aufruf ist Leser Willi Wamser übrigens hier gefolgt. Tausend Dank für die immense Recherchearbeit!).

<…> lepidique sales, lepidaeque Camenae.>

Iucundique ioci, Satyri Saturaeque valete!

Quibuscum et saeculo valedixit

Illustris quondam vir Monacensis.

Dr. Martinus Schleich

defunctus 13. Oct. 1881

natus 12. Febr. 1827

Qui hoc epigramma sibi fieri voluit:

Iacet. Tacet. Placet.

Übersetzung:

Lebt wohl, lässige Witze, lässige Musen…

Angenehme Scherze, Satyrn und Satiren.
Zusammen mit diesen und dem Jahrhundert hat sich der einst berühmte Münchner
Dr. Martin Schleich verabschiedet;
gestorben am 13. Oktober 1881,
geboren am 12. Februar 1827.
Er wollte, dass für ihn der folgende Grabspruch angefertigt wird:

(Hier) liegt er. (Hier) schweigt er. Das gefällt.

Das lateinische Pendant zu “Klappe zu, Affe tot!”

Der Münchner Südfriedhof bei schönstem Frühlingswetter

Und hier nochmal in 3D:

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5 Comments

  • Willi Wamser

    Salute, collega,

    Wow, das sind wahrscheinlich die “Camoenae”… oder “Camenae” (Musen, Gedichte, Verse; Horaz, Vergil, Ovid)n.

    [img]https://up.picr.de/41950042pz.jpg[/img]

    Schleich hat den Jesuitendichter Balde übersetzt…

    Sed mite duci prolicis hospitem,
    Quamvis paventem. Te penes et ioci,
    Castaeque Musarum Camoenae,
    Et teneri sine lite risus.

    http://udallasclassics.org/wp-content/uploads/maurer_files/Balde.pdf
    (Seite 9!)

    • Willi Wamser

      Präzisierung:

      die Spurenelemente von “Camoenae” stehen in der ersten Zeile rechts außen hinter “lepidaeque”

      Die ersten drei oder vier Silben des vermutlichen Hexameters an der Spitze der Zeile sind eine echte Leerstelle.

      vale

    • herrmess

      Ach potzblitz! Tausend Dank für den Hinweis! Das werde ich gleich in den Artikel übernehmen. Da kennt sich jemand hervorragend aus, würde ich sagen 😉

  • Willi Wamser

    Beim Recherchieren zu Martin Schleichs Epitaph auf dem Alten Südfriedhof München lässt sich einiges finden:

    1. Martin Schleichs Epitaph: Die Referenz auf und die Reverenz für Jakob Balde – Intertextualität

    Unser Martin Schleich, Humorist und Tausendsassa der Münchner Kulturszene um 1860 hat den Jesuitendichter Jakob Balde übersetzt.

    https://opacplus.bsb-muenchen.de/title/BV009831265

    Balde ist ein hochversierter Poet, Kenner und Könner in vielen lyrischen Gattungen, auch der Satire. In Baldes Schrift Silvae findet sich unter 7, 17 eine humorvolle Epistel an den Freund Peter Altenhof.
    Balde stellt parodierend eine pompöse Grabinschrift vor, sie beleidige ihn:

    https://up.picr.de/41968225ma.png

    Und dann bringt er kontrastiv eine von ihm goutierte Inschrift:

    Me, si paratum, Petre, iubentibus
    Suprema Fatis hora citaverit:
    Longam quidem, sed impolita
    Sandapilam (Totenbahre) fabricabis orno (ornus, i; fem.: Bergesche).
    A fronte scribes: Heic Hic] . Iacet. Alsata.
    Poeta. Quondam. Non, sine. Laureis.
    O vanitas! Expunge rursus.
    Si iaceam satis est, quiete.

    http://mateo.uni-mannheim.de/camena/bald1/books/baldepoemata1_12.html

    Mich, wenn bereit, o Petrus, auf Geheiß des Schicksals, die letzte Stunde abrufen wird:
    so wirst du mir dann eine lange, aber unpolierte Totenbahre aus Berg-Esche fertigen.
    Auf ihre Stirnseite wirst du schreiben;
    Hier liegt er. Ein Elsässer. Dichter. Einst. Nicht ohne. Lorbeer.

    O Vanitas. Streiche das wieder.
    Wenn ich liege, ist es genug, in Ruhe.

    In einer Dissertation von 1931 (Elisabeth Hirtz)

    https://up.picr.de/41968058uq.jpg

    findet sich auf Seite 84 eine kurze Bemerkung zum Begräbnis des Martin Schleich und ein Hinweis auf Schleichs Beschäftigung mit Baldes Epitaphienpoetik:

    https://up.picr.de/41967427bi.png

    Geht man dem nach, so gilt: Die spielerischen Parallelen sind wohl unübersehbar.

    Das „quondam“ und das „illustris“ und der Herkunftsname „Monacensis“ referieren auf Baldes „quondam“, „non sine laureis“ und „Alsata“.
    Baldes Schlusszeile „Si iaceam satis est, quiete.“ wird witzig in einem Trikolon „Iacet, tacet, placet“ aufgenommen, das an Caesars Ausspruch „veni, vidi, vici“ erinnern mag. Descriptiv in der 3. Person signalisiert die Zeile, der oftmals polemisch polternde Dichter, der nun ruhig ist und schweigt, finde eben deswegen den Gefallen der Öffentlichkeit.

    (2) Die hexametrischen Zeilen des Schleichepitaphs

    Das Unleserliche der ersten Zeile setzt, will man sie rekonstruieren, auf die Hilfestellung der zweiten Zeile. Die ist ein Hexameter. Sie formuliert ein Lebewohl an Scherze, Satyre und Satiren. Also fokussiert sie sich auf antike Figurationen.

    Naheliegend, dass auch die erste Zeile ein Hexameter ist. Das letzte Wort – hier kann das hochauflösende Bild von Wikipedia helfen – dürfte mit hoher Sicherheit „Camoenae“ lauten, ein Signalwort für Poesie, das sowohl beim alten Balde wie auch bei den noch älteren Ovid, Horaz, Properz, Vergil zu finden ist.
    Die letzten Buchstaben des unleserlichen Anfangswortes dürften ein -ui sein, der erste Buchstabe macht große Schwierigkeiten, aber es ist nicht unwahrscheinlich, dass hier ein „A“ vorliegt. Der poetohistorische Kontext, die Metrik und die litteralen Spurenelemente dürften für „antiqui“ sprechen.

    Ā́ntīquī́ lĕpŏrī́quĕ sălḗs lĕpĭdǣ́quĕ Cŏmœ̄́næ
    Iū́cūndī́quĕ iŏcī́, Săty̆rī́ Sătŭrǣ́quĕ vălḗte!

    So wäre denn Schleichs Grabschrift ein Lebewohl an mittelalte und alte Poeten mit witzorientierter Produktion. Und eben auch ein Lebewohl an sein Jahrhundert, etwas bescheidener: das Wirkungsfeld seiner Lebenswelt als Publizist.

    Dass „saeculo“ ein Dativ in Abhängigkeit von „valedicere“ ist, dürfte wenig strittig sein. Der Präpositionalausdruck „quibuscum“ oszilliert ein bisschen, scheint mir.
    Es könnte sich um einen „Ablativus modi“ handeln (BS § 372), könnte aber auch ein etwas holpriger Dativ sein, der auf einer Ebene liegt mit dem Jahrhundert, von dem sich Schleich verabschiedet, poetische Register des Witzes, denen schon in der ersten Zeile das Valet gesagt wurde.
    Vielleicht aber liegt sogar ein sehr holpriger Instrumentalis vor, ähnlich wie bei Apuleius (Infit illa cum gladio: ‘… ’; Apul. Met. 1.12.4).

    Schleich sagt mit Hilfe oder in Begleitung antiker Register dem Jahrhundert sein Lebewohl. Und eben auch vor dem Verstummen im Tode den Registern selber. Auf dem Grabstein aber überleben sie.

    • herrmess

      Schleichs Affinität zu Jakob Balde kenne ich aus den Nachforschungen ebenfalls. Aber vielen Dank für die zahlreichen zusätzlichen Einblicke. Ich werde sie nicht in den Artikel übernehmen, sondern dort direkt auf Ihre/Deine Hinweise verlinken. Ehre, wem Ehre gebührt!

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