• Allgemeines,  Alltag,  Buch

    Von Kulinarischen Leckerbissen

    Letzte Woche fanden bei uns im Viertel die Hinterhofflohmärkte statt. Ein wirklich schönes Event, das man sich da ausgedacht hat: Pro Viertel wird an einem Samstag ein Zeitraum geschaffen (in der Regel von 9.00-16.00 Uhr), in dem die Bewohner ihres Kiezes an kleinen Ständen in ihrem Hof nicht mehr gebrauchtes Hab und Gut verkaufen. Quasi ein Flohmarkt mitten in der Stadt. Das ist aus vielerlei Hinsicht immer eine tolle Erfahrung: Man kommt nicht nur mit seinen Nachbarn bestens ins Gespräch, sondern darf nebenher auch einen Blick in Hinterhöfe riskieren, die der Öffentlichkeit sonst nicht zugänglich sind. Und da gibt’s echt ein paar Perlen zum Anschauen. Sowohl bei Hinterhöfen als auch bei den angepriesenen Schätzchen, die man für kleinstes Geld erwerben kann –  zumindest von dem Zeug, das sich auch tatsächlich verkaufen lässt…

    Waren, die an diesem Wochenende keinen neuen Besitzer finden, werden in aller Regel wieder weggepackt und versauern bis zum nächsten Flohmarkttermin in einer Kellerkiste… oder landen vor den Häusern in einer “Zu verschenken”-Box. Dort finden sich gerne mal kleine ehemals liebgewonnene Schätze, aber auch die eine oder andere Skurrilität. Zum Beispiel dieses Kochbuch aus den frühen Siebziger Jahren eines auch heute noch bekannten Herstellers von Haferflocken, das auf den Namen “Gesunde Tafelfreuden” hört und sowohl mit Inhalt als auch mit Aufmachung schwer überrascht.

    Zwischen Rezepten wie Griesnockerln, Apfelstrudel oder Kaiserschmarrn finden sich wie selbstverständlich Anleitungen für die Zubereitung von Hirnnockerln, Zungenauflauf, Käseäpfel oder Kekse mit Leber. Zur Verfeinerung wird regelmäßig dazu aufgerufen, statt Butter auch einfach mal tierisches Bratenfett zu nutzen. Das runde das Aroma ab. Also einfach mal seine Leberplätzchen zur Weihnachtszeit in geilem Gänsefett kross und backen und an dem Geruchserlebnis die komplette Hausgemeinschaft teilhaben lassen. Lecker… Aber das ist ja nicht alles. Viel verstörender als die Rezepte im Kochbuch sind die eingestreuten Illustrationen, die ja eigentlich Lust auf Kochen machen sollten (so würde ich das als Rezipient ganz naiv annehmen). Aber weit gefehlt. Stattdessen gibt’s ein verstörendes Szenario nach dem anderen:

    Warum wird in dem Kochbuch an prominenter Stelle ein Kind übers Knie gelegt und verprügelt? Warum wird ein Mädchen mit einer übergroßen Sahnespritzpistole zu Weinkrämpfen drangsaliert? Warum ist ständig von einer kaputten Uhr die Rede? Wieso tuscheln zwei Damen mit Hut über diese Meldung so aufgeregt? Warum reiten drei afrikanische Kinder auf einer Banane?  Warum heult da ein Junge neben der kaputten Uhr? Und was macht der Typ mit dem lüsternen Blick und dem lasziv angelegten Zeigefinger am Mund da mit dem kleinen Mädchen? Ich habe Fragen. Und werde vermutlich nie eine Antwort darauf bekommen. Vielleicht aber stattdessen einen Zungenauflauf. 🤤

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  • Allgemeines,  Alltag

    Sommer 1991

    In einem Schrank meines Jugendzimmers fiel mir beim Ausmisten eine kleine Überraschung in die Hände: Eine Kassette, die ich mir ziemlich genau vor 30 Jahren zusammengestellt habe. Das Cover ist verloren gegangen, aber allein die künstlerische Ausgestaltung des Titels lässt erkennen, dass das Ding für mich etwas Besonderes war. Es entstand in den Sommerferien 1991, als ich mit meinem Mini-Kassettenrekorder und einem Cinch-Kabel bewaffnet alles vom Fernsehen aufnahm, was ich im Kinderzimmer mangels eines eigenen TVs nachhören wollte. Und so lausche ich gerade wieder einer verrauschten Titelmusik von Night Rider, der Theme von der Zeichentrick-Serie Karate Kid, den besten Tunes von Super Mario Bros. 3 oder kommentierten Wrestlingmatches von Tele5 – und lasse die Woge der Nostalgie gnadenlos über mich hinwegrollen. Die ganzen Melodien bringen sofort Erinnerungen an diese Sommerferien zurück.

    Ich hab das Spiel immer noch…

    Es sind nur Momentaufnahmen, kleine Schnipsel: Tage im Freibad mit meinem Bruder. Das endlose Anstehen an der Wasserrutsche. Der vertrocknete Rasen unter den Füßen. Der Geruch von billigen Fritösenpommes. Unser Trip nach München, wo ich mir im WOM (World of Music) in der Kaufinger Straße eine LP gekauft habe. Ich entschied mich für den Soundtrack zu Gremlins 2 – und bereute den Kauf. Unser erster Besuch in einer Videothek, um besagten Film auszuleihen  – auch das bereute ich. Tennisspielen mit den Nachbarskindern in der Straße auf einem Feld, das wir mit Straßenkreide gemalt hatten. Regelmäßig Eis für 50 Pfennig in der Dorfgaststätte. Endlose Sessions mit meinem heißgeliebten Gameboy und den Teenage Mutant Ninja (!) Turtles, das ich zum Jahreszeugnis geschenkt bekam und überall dabei hatte. Im Zimmer, im Auto. Unter dem großen Busch im Garten, den wir in Anlehnung an die Turtles mit den Nachbarskindern zum Hauptquartier deklariert hatten und ebenso coole Stirnbänder trugen wie Leonardo, Michelangelo, Raphael und Donatello. Sehr zum Leidwesen unserer Eltern, denn wir hatten dafür kurzerhand sämtliche Gürtel aus deren Bademänteln entwendet. Die damals brandaktuellen Folgen der 3??? (die Musikpiraten/die Automafia) und deren neue Art mit “hippen” 90s-Tunes, Freundinnen, wüsten Schlägereien und Stories, die so langsam gar nicht mehr mein Fall waren. Langeweile, die auch mal sein musste. Grillabende auf der Terrasse. Selbst abgehaltene Bundesjugendspiele mit den Kindern in der Straße. Jeden Tag war etwas los. Und trotzdem hatte man ab September immer das Gefühl, die Tage nicht genug ausgenutzt zu haben.

    Ein besonderes Schmankerl hatte die Kassette am Ende der ersten Seite dann auch noch zu bieten: Zusammen mit meinem Bruder fing ich in dieser Zeit an, die guten alten Telefonstreiche zu veranstalten… und auf Band aufzunehmen. Und so höre ich uns mehr als 30 Jahre später mit quäkenden vorpubertären Kinderstimmchen bei Hinz und Kunz anrufen, irgendeinen Mist erzählen und uns diebisch an der Reaktion der perplexen Empfänger erfreuen. Es ist alles so wunderbar dämlich. Und gleichzeitig so zauberhaft.

    Irre, wie so ein kleiner Kassettenfund sofort so ein Erinnerungsfeuerwerk lostreten kann.

    Eine Truhe voller Erinnerungen
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  • Latein,  Unterricht

    Lateinlektüren meiner Schulzeit

    Das war mal wieder ein toller Einfall von Herrn Rau. In einem langen Blogartikel hat er sämtliche Deutschlektüren Revue passieren lassen, die er damals als Schüler im Unterricht vorgesetzt bekam – für seine Leser ein willkommener Anlass in zahllosen Kommentaren selbiges zu tun. Dazu gehörte auch ich. Allerdings erschreckte es mich dann doch, wie wenig ich eigentlich noch über die Lektüren aus dem Deutschunterricht im Kopf behalten habe. Bei jedem der aufgelisteten Titel konnte ich mich genau an das Cover des Buches erinnern oder an das Schriftbild. Aber Inhalt? Mehr als ein ein Gefühl, das ich damit verband, hatte ich meistens nicht parat. Vielleicht lag das daran, dass ich als Schüler ein ausgesprochener Lesemuffel gewesen bin und mit vielen der Lektüren wenig anfangen konnte. War das in Latein anders? Mal schauen… Daher will ich den Spuren von Herrn Rau folgen und kurz meine Lateinlektüren der Schulzeit etwas genauer beäugen.

    Neunte Klasse

    Die neunte Klasse begann mit einem DER Klassiker. Der gallische Krieg von Julius Caesar stand auf dem Programm, und wenn ich mich recht erinnere, sogar ziemlich lange: Fast ein dreiviertel Jahr lasen wir in dem Schinken! Ohne irgendeine Heranführung an Inhalt und Werk ging es gleich in der ersten Stunde los. Wir hatten keine Ahnung über das literarische Genre, über die Zeitgeschichte oder gar die verschiedenen Stämme, die ständig in Erscheinung traten. Offensichtlich war unsere Lehrerin damals überzeugt davon, dass sich das alles mit der Zeit von selbst erschließen würde. Immerhin ist das Werk ja ein Tatenbericht, in dem einem unwissenden Leser fein säuberlich alles dargelegt und erklärt wird. Aber so richtig verstanden haben wir das nicht. Zumindest ich nicht. Ständig kamen neue Stämme hinzu: Die Sueben, die Helvetier, die Haeduer, Germanen, Römer, Gallier. Und alle gaben sich eins auf die Nuss. All das war verpackt in diesen typischen Caesar-Schreibstil, der komplett anders war als alles, was wir in der Spracherwerbsphase der vorherigen Schuljahre übersetzt hatte. Folglich hat man ganz schön lange gebraucht, da hineinzukommen.
    Aus heutiger Sicht ist es so ein Unterricht, wie wir ihn damals erlebt haben, heute kaum noch denkbar (aber bestimmt noch irgendwo so praktiziert). Cäsar ist mittlerweile einer von knapp 6 – 7 Autoren, die im Laufe der neunten Klasse neben Ovid, Catull, Phädrus, Nepos sowie eine Handvoll mittellateinischer Autoren behandelt werden müssen. Folglich bleibt für Caesar deutlich weniger Zeit als damals. Das Phänomen des Lektüreschocks wird dadurch leider nicht wirklich besser. Im Gegenteil. Für viele ist bis heute Cäsar der Autor, bei dem einige definitiv das Handtuch werfen.
    Als dann nach 9 Monaten zum ersten Mal Phädrus’ Fabeln auf dem Plan standen, atmeten wir als Klasse deutlich auf. Die kleinen Geschichten rund um Rabe und Fuchs, die uns oft aus dem Deutschunterricht bekannt waren, ließen sich deutlich einfacher übersetzen und waren narratologisch simpel gehalten.Daher habe ich an Phädrus eigentlich ganz gute Erinnerungen. Hätte unsere Lehrerin damals mit Phädrus angefangen, hätten wir in die Autorenlektüre den definitiv einfacheren Start gehabt.

    Zehnte Klasse

    In der zehnten Klasse standen auch zwei literarische Schwergewichte auf dem Programm. Los ging es mit Cicero und den beiden Reden gegen Verres und Catilina. Anders als in der neunten Klasse begann unser Lehrer, der später auch mein Leistungskursleiter werden würde, mit einem historischen Vorbau und ließ uns an einem kurzen Abriss der römischen Geschichte bis in die Zeit Ciceros teilhaben. Für uns oder besonders für mich als der Klasse sehr erschreckend, weil wir merkten, dass wir nach mittlerweile fünf Jahren Lateinunterricht eigentlich so gut wie nichts über römische Geschichte und ihre Gesellschaft wussten. Das unterstreich noch einmal ganz deutlich, wie wichtig es ist, im Lateinunterricht regelmäßig innezuhalten, um noch mal alles im historischen Diskurs zu verorten. Je öfter desto besser. Folglich konnten wir als Klasse damals den Reden Ciceros deutlich besser folgen als in der 9. Klasse Caesar. Noch dazu sind die Themen Korruption und Staatsputsch in der heutigen Zeit wieder so relevant wie eh und je. Insofern kann man hier als Lehrer bis heute aus dem Vollen schöpfen.
    Ovids Metamorphosen begleiteten uns dann im 2. Halbjahr für fast 5 Monate; eine große Zeitspanne, in der wir uns voll und ganz auf das metrische Lesen und die Dichtersprache Ovids konzentrieren konnten. Und das war auch bitter nötig. Mit Ovid haben Schüler bis heute große Probleme. Und das so sehr, dass er in vielen Bundesländern oft nur noch kursorisch gelesen wird. Jemanden einen solchen Text in einer Schulaufgabe zur Benotung vorzulegen grenzt für viele an Sadismus. Dabei ist das alles kein großes Problem, wenn man seine Formen parat hat. Ohne das Wissen über Kasusendungen ist man natürlich hoffnungslos verloren. Aber das gehört nun mal genau zu Latein wie das Einmaleins in Mathematik…
    Ovid fand ich trotz des knackigen Schwierigkeitsgrades immer sehr interessant. Als Klasse wurde uns genug Zeit gelassen, sich auf den Stil einzustimmen und sich einen roten Faden zu erlesen, der sich durch das komplette Werk zieht.  So etwas ist in der jetzigen 10. Klasse, in der Latein als dreistündiges Fach behandelt wird, leider schwer zu leisten. Stattdessen hetzt man von Highlight zu Highlight: Zu Apollo und Daphne, zu den lykischen Bauern, zu Philemon und Baukis, Lykaon, Pyramus und Thisbe oder die Augustus-Prophezeiung. Dabei lässt dabei oftmals völlig unter den Tisch fallen, dass alle diese Episoden kunstvoll miteinander verwoben sind. Und das 15 Bücher lang, in mehr als 225 Sagen mit mehr als 13.000 Versen, die einen in sich schlüssigen und zusammenhängenden Text ergeben. Damit fällt häufig – auch bei mir – eine große künstlerische Dimension unter den Tisch, die ich erst im Studium so richtig begriffen habe.

    Elfte Klasse

    Die 11. Klasse begann mit einem Autor, der aus dem aktuellen Lehrplan des achtjährigen Gymnasiums gänzlich verschwunden ist. Nämlich Tacitus. Heute ist der Autor aufgrund seines Schwierigkeitsgrades in aus der Schule in der Schule verbannt und an der Universität gefürchtet. Dabei ist seine Germania  für uns Deutsche eigentlich ein tolles Zeitdokument. Die Maske, durch die der Autor Aussehen und Gepflogenheiten der Germanen beschreibt, sind gut zu übersetzen, spannend und werfen die Frage auf, wie viel davon tatsächlich wahr und belegt ist. Oder zeichnet das Werk einfach nur das Bild von einer zivilisatorisch unterlegenen Gemeinschaft, das vor Klischees und Stereotypen nur so strotzt. Fake News gab es ja schon damals. Aber fallen wir mehr auf sie rein, wenn sie aus einer zeitlichen Distanz von 2000 Jahren später betrachten?
    Im zweiten Halbjahr schwenkten wir dann zu Vergil, der später auch wieder im Leistungskurs eine große Rolle spielen würde. Aus diesem Grunde bewegten wir uns auch nur im ersten Buch der Aeneis und beschränkten uns ausschließlich auf das diegetische Geschehen des Epos, ohne die national-römischen Tendenzen und die Propagandawirkung zu betrachten. Unvergessen bleibt der Augenblick, in dem unser Lateinlehrer, ein glühender Verehrer des Dichters, eine komplette Unterrichtsstunde darauf verwandte, um das erste Buch der Aeneis wortwörtlich wiederzugeben. Aus dem Kopf auswendig ohne irgendeine Zuhilfenahme.
    Das Ende des Schuljahres war dann mit kleinen Fiesheiten aus Epigrammen des Martial und Catull geschmückt. Anders als in der neunten Klasse Phaedrus, galt es nun mit Versmaß und den teils recht anspruchsvollen Zweizeilern umzugehen. Jeder in der Klasse bekam daher ein Epigramm, das er auswendig vortragen, übersetzen und mit einem möglichst geistreichen Titel überschreiben sollte. Ich kann mich noch gut  an dieses getippte Schreibmaschinenblatt erinnern, auf dem knapp 60 Epigramme von unserem Lehrer fein säuberlich abgetippt wurden. Ich hatte damals das mit Thais und ihren verfaulten Zähnen.

    Zwölfte Klasse

    Die zwölfte Klasse begann mit Petrons Satyricon und eröffnete mir mit der Cena Trimalchionis eine ganz neue Welt in der lateinischen Literatur. Die Art und Weise, wie teilweise gänzlich unverblümt von den Protagonisten untereinander geschimpft und gelästert wurde, war für mich eine völlig neue Erfahrung. Der Autor sollte daher sowohl in meiner Facharbeit eine große Rolle spielen als auch in meinem Staatsexamen, wo er für die literaturwissenschaftliche Übersetzungsprüfung mein zweiter Hauptautor werden würde. Natürlich konnte man einen Roman dieses Formats nur zu einem gewissen Teil in der Oberstufe lesen. Die richtig saftigen Passagen bekam ich erst Jahre später im Studium um die Ohren geknallt. Die verfehlten aber auch dann mit knackigen 20 Jahren nicht ihre Wirkung…
    Der gute Horaz und seine Werke standen dort als thematischer Gegenpol zu den doch recht derben Themen des Satyricon. Oden, Epoden, Satiren – alles war dabei. Inklusive einer gehörigen Portion Frust. Ein Großteil seiner Werke war ohne ständige Erläuterungen und zusätzliche Kommentare nicht zu bewältigen. Entsprechend ist der Dichter heutzutage in der Oberstufe eingedost. Mehr als die Schwätzersatire wird in der Regel kaum noch gelesen. Dabei haben seine Werke durchaus ihren Reiz. So richtig erschließen sollen sich die teils doch recht kryptischen Verse übrigens erst, wenn man ein gewisses Alter erreicht hat. Vielleicht wäre jetzt dazu der Zeitpunkt gekommen.
    Zum Schluss des Jahres stand noch das Thema der Staatsphilosophie auf dem Programm. De re publica von Cicero verlangte mir damals einiges ab. Nicht sprachlich, denn der Text war an sich gut strukturiert und leicht zu verstehen. Aber das Thema an sich war für mich eine Herausforderung. Als Schüler, der noch nicht einmal die Volljährigkeit erreicht hatte, waren Bereiche wie Staatskreisläufe, Entartungen und Mischverfassungen schon harter Tobak. Dazu kamen ständige Rückbezüge auf altgriechische Vorbilder, die wir als Kurs nicht parat hatten. Ständig erschienen die Prätexte von Platon oder Archimedes durch, aus denen sich Cicero fleißig bedient hat. Erst zum Abitur hin bekam ich ich bei der Wiederholung des Themas endlich sinnvoll zu verstehen. Heute als Lehrer lese ich den Text wirklich sehr gerne. Er bietet auch heute noch viel Diskussions- und Zündmaterial, um aktuelles politisches Geschehen mit diesen Theorien zu vergleichen. Oft mit erstaunlich akkuraten Ergebnissen

    Dreizehnte Klasse

    Für das letzte Jahr wartete der Lektüreunterricht dann mit Livius und seinem Werk ab urbe condita auf. Damit waren wir mittendrin in der faszinierenden Propagandamaschinerie des Augustus, der sich damals die literarische Elite geschickt zunutze machte, um sein politisches Programm durchzusetzen. Das wurde auch in der Aeneis deutlich, aus der wir die drei berühmten Prophezeiungsepisoden übersetzten, in denen von mythologisch höchst bedeutsamen Persönlichkeiten eine Zukunft vorausgesagt wurde, in der Kaiser Augustus als göttlich legitimierter Kaiser beschrieben wird.  Zusammen mit Ausflügen in das Bauprogramm des Prinzeps erschloss sich so die komplette Tragweite eines politischen Apparates, der sich darauf verstand, seine uneingeschränkte Macht so zu präsentieren, dass keiner der Untergebenen Anstoß daran nahm. Nicht einmal die politischen Organe, die faktisch nutzlos geworden waren und nur noch auf dem Papier bestanden.
    Den Abschluss meiner Lateinkarriere bildete das Thema der Philosophie, das heute in die zehnte und elfte Klasse verschoben ist (übrigens viel zu früh, wie ich meine). Im alten Lehrplan machte das Thema an dieser Stelle tatsächlich Sinn. Immerhin befanden wir uns mit dem dräuenden Abitur am Ende unserer Schulkarriere und damit an einem gewissen Scheideweg. Da waren ein paar Tipps und Tricks zum Thema Lebensführung gar nicht so verkehrt. Daher habe ich die Epistulae morales von Seneca oder aber auch Ciceros de natura deorum sehr gerne gelesen. Vor allem letzteres öffnete noch einmal die Augen, wie Römer und Philosophen einen Götterapparat im Staat empfinden. Auch das Thema der Gottesexistenz und seiner Berechtigung fand ich richtig spannend.
    Wow, das ist jetzt aber ein ganz schönes Blog-Monster geworden. Ihr seid hoffentlich nicht weggepennt 😁
    Bis heute in meiner Bibliothek: Meine alten Lateinlektüren
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  • Allgemeines,  blog,  Unterricht

    Jubiläum

    Weeeeeee… Confetti

    Wie mir Twitter dieser Tage stolz verkündete, habe ich dort jüngst mein Achtjähriges gefeiert. Und genauso alt dürfte mein Blog sein. Zeit für eine kleine Retrospektive. Aber nur eine ganz kleine. Wir haben ja nicht den ganzen Tag Zeit.

    Am Anfang war mein Wort

    2013 war meine Unterrichtsvorbereitung noch stark geprägt von dem Vorgehen, wie ich es im Referendariat erlernt hatte: Jede einzelne Stunde war mit sämtlichen dazugehörigen Materialien in einem Ordner abgeheftet und in einer Klarsichthülle verstaut. Jedes Arbeitsblatt war darin in Papierform zu finden sowie auf Folie, um sie bei Bedarf an den überall im Schulhaus vorhandenen OHPs im Klassenzimmer ausfüllen zu können… und sich nebenbei die Finger mit Folienstiften zu versauen. Audiodateien waren auf CDs gebrannt. Den zum Abspielen nötigen CD-Player trug ich munter durch das Schulhaus. Klingt nach heutiger Sicht ziemlich umständlich. Aber man war es nicht anders gewöhnt. Sich alles auf ein Tablet zu laden und damit durch die Lande zu ziehen – das kannte ich bis dato noch gar nicht. Vermisste ich aber auch nicht. Wie auch, wenn man es vorher nicht kannte…

    Auf Blogs bin ich damals nur eher zufällig gestoßen. Auf einer Suche nach Inspiration zu meinem ersten Seminar in der Oberstufe stieß ich damals auf einen Leistungskurs-Blog von Peter Ringeisen – und war schnell begeistert. So viel möglich. So viel online. Und dann noch in bayerischen Landen. Das war zu schön, um wahr zu sein! Von dort klickte ich mich durch die Linklisten und kam so in die Welt der Lehrerblogs. Viele der virtuellen Lehrenden, die damals noch aktiv waren, sind mittlerweile leider verstummt. Frau Henner zum Beispiel, die ich immer gern gelesen habe. Oder aber auch Frollein Rot, die über viele Jahre die schönsten Schulanekdoten zum Besten gab. Aber es gab auch damals schon die Stars, die bis heute aktiv sind. Bob Blume hatte jüngst angefangen, Jan-Martin Klinge war schon seit Jahren dabei. Ebenso Herr Rau. Und irgendwann war klar: Das wollte ich auch. Schnell war WordPress aufgesetzt und ein erster Artikel geschrieben. Der Rest lief von ganz von alleine.

    Lehrerzimmer 2.0

    Das Thema Twitterlehrerzimmer, in dem sich ein digitales Kollegium tummelte, lag damals noch in weiter Ferne. Man erklickte sich sein eigenes Wirkungsuniversum und die Leute darin: Im EdchatDE organisierten Torsten Larbig und André Spang jeden Dienstag den ersten, mir bekannten digitalen Lehrerchat über den eigenen Tellerrand hinaus. Herr Rau verfrachtete die bekanntesten Lehrkräfte und ihre Blogs in ein virtuelles Sammelkarten-Set und sorgte so sowohl für Erheiterung als auch Ausweitung des PLN. Bob Blume erfand mit Twanalog ein Brieffreundschaftsprojekt 2.0 für die über Twitter vernetzten Lehrer. Und ich nahm an allem sehr gerne teil.

    Für mich selbst stand damals allerdings die Blogpflege an erster Stelle. Jeder Kommentar zu einem meiner Artikel war eine kleine Party. Wildfremde Leute aus irgendwelchen Regionen der Republik, die zu meinem Geschreibsel ihren Senf gaben – Awesome! Und so revanchierte man sich mit Gegenkommentaren und diskutierte vorrangig  eher auf den Blogs selbst als sich in den sozialen Medien zu verewigen, in denen die Artikel verlinkt sind – eine Entwicklung, die ich bis heute bedauere. So war der Kontakt noch eine Spur persönlicher, die Reaktion ein Quäntchen unmittelbarer. Man kam besser ins Gespräch. Sei’s drum, der Kontakt selbst stand im Zentrum und eröffnete zahllose neue Türen: Und ehe man sich’s versah, lief man sich im wahren Leben auf einer Fortbildung in die Arme, traf sich beim Umsteigen in einen Zug mal eben auf einen Kaffee, fand sich bei einem seiner Follower urplötzlich in einer Fortbildung. Oder endete selbst als Referent in einer Fortbildung, die man ohne die entsprechende Expertise aus der Kombination Twitter/Blog so nie angeboten hätte.

    Wozu nun diese Retrospektive? Nun für mich zunächst vorrangig als Erinnerung an all die tollen Erfahrungen und Erlebnisse, die ich aus dieser Mehr-als-Hobby-Aktivität ziehe. Und für den einen oder anderen interessierten Leser als Aufforderung, das auch mal auszuprobieren. Man kann nur gewinnen.

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  • Allgemeines,  Technik

    Let there be chchchchchchch!

    Liebe Gemeinde,
    heute wird es mal nerdig. So richtig nerdy nerd. Noch dazu, wo das Thema vermeintlich überhaupt nichts mit den sonst behandelten Themen im Blog zu tun hat. Mit Betonung auf “vermeintlich”. Vielleicht habe ich aber auch noch das eine oder andere in der Hinterhand… wer weiß? Legen wir mal los!

    Es war einmal

    Wenn es einen Klang gibt, der meine Kindheit in den 90er Jahren am besten beschreibt, dann ist es wohl dieser hier:

    Ihr kennt ihn bestimmt. Es ist der Game Boy von Nintendo. Es ist jetzt genau 30 Jahre her, dass ich meinen zum ersten Mal in den Händen hielt. Mit zitternden Lettern eines Elfjährigen ist das Datum unseres Kennenlernens auf der Verpackung bis heute vermerkt.

    Der Schatz meines elfjährigen Ichs 🙂

    Über vier Jahre war der Kleine mein ständiger Begleiter. Zuhause, auf Autofahrten, im Bus, bei Freunden, am Strand, heimlich auf dem Schulhof. Überall. Als Kinder der 90er waren wir alle von dem neuen Konzept Portable Gaming, wie es der Game Boy verkörperte, völlig von den Socken. Permanent verschiedene Spiele unterwegs daddeln zu können, egal wo man sich befand – das war radikal neu! Und auch wenn man sich heute nur mit Mühe vorstellen kann, dass dieses klobige Ding tatsächlich in eine Hosentasche gepasst haben soll (ging gerade so!) – er war überall dabei. Und ich mit ihm. In unzähligen Königreichen und Fantasiewelten.

    Bild von mobygames.com

    Ich habe in Mystic Quest nach dem Mana-Baum gesucht und fand auf Cocolinth das Ei des legendären Windfisches. Mit Mega Man an meiner Seite befreite ich die Welt mehrmals von Dr. Wily, rettete mit den Turtles zwei Mal New York vor Shredders Foot Clan. Ich war Drache Firebrand. Ich war Batman. Ich war Kid Dracula. Ein Nachfahre von Simon Belmont, Scrooge McDuck, ein Battletoad, ein Motocross- Fahrer, Hulk Hogan, eine Murmel in Marble Madness, ein Blob, eine Tomate oder wahlweise Kartoffel in Kwirk… und im realen Leben irgendwann dann doch ein Teenager, der sein liebgewonnenes Spielzeug über hatte. Die Pubertät war angebrochen. Ich hatte andere Dinge im Kopf. Und mein Game Boy wanderte an einen Ehrenplatz im Schrank meines Jugendzimmers, wo er 25 Jahre im Dornröschenschlaf verbrachte.
    In all der Zeit habe ich ihn kein einziges Mal geweckt, um mich der Nostalgie hinzugeben, die das Gerät zweifellos in sich barg. Es aber zu verkaufen, brachte ich nie übers Herz. Kurzfristig flammte das Interesse wieder auf, als ich mit Keyboarding und Synthesizern gegen Ende der Schulzeit anfing und auf LSDJ aufmerksam wurde: Ein Programm auf einer handelsüblichen Spielekassette, mit der es tatsächlich möglich, den Game Boy in ein Musikinstrument zu verwandeln – das klang richtig interessant. Immerhin haben mir die quirligen Chips Sound des Game Boys immer imponiert. Viele Melodien der Spiele hatten sich in mein Gehirn gebrannt, einige hatte ich als Kind sogar auf Kassette überspielt, um sie auch über die heimische Stereoanlage hören zu können (ganz zum Leidwesen meiner Eltern). Aber ein Blick auf die Kosten für eine Plastikcartridge, für die auch noch Versandkosten anfielen, hätten mein Schüler-Budget schnell gesprengt. Und damit war das Vorhaben gestorben. Vorerst. Umso erfreuter war ich, als ich letztes Jahr durch Zufall bemerkte, dass sich nach 20 Jahren die Zeiten geändert hatten: Die Software gab es mittlerweile als kostenlosen Download, Game Boy Cartridges ließen sich mit Hilfe von SD-Karten unbegrenzt mit Daten befüllen. Und so wurde nach 30 Jahren wahr, was ich immer haben wollte: Ein Synthesizer, der wie ein Game Boy klingt. Also nicht lange gefackelt und den EZ Flash Junior samt SD Karte bestellt und mein heimisches Jugendzimmer aufgesucht, um das graue Schneewittchen aus seinem Styroporkarton zu befreien… Und erstmal bekam ich einen riesigen Schreck.

    Ich bin der Gilb…

    mein Game Boy links im Nikotin-Look im Vergleich zu einem Gerät in tadellosem Zustand

    Denn das Plastik des Gehäuses war über die Jahre völlig vergilbt. Weiß der Geier, was da passiert war, aber es sah aus, als hätte das Gerät mehrere Jahre mit bzw. in einem Kettenraucher verbracht. So etwas in die Hand zu nehmen um Musik zu machen… nein danke. Noch verstörter war ich, als ich das Gerät einschaltete. Zwar sprang der Game Boy nach 25 Jahren sofort an, als sei nie etwas gewesen. Aber die nostalgische Verklärung hatte mich völlig vergessen lassen, wie unterirdisch dieser Bildschirm gewesen war. Ohne Hintergrundbeleuchtung war man ständig gezwungen sich auf den viel zu winzigen Bildschirm zu konzentrieren. Noch schlimmer wird’s, wenn sich dann auch noch etwas darauf bewegt. Dann zieht das Bild deutliche Schlieren, die meinen nicht mehr ganz so jungen Augen auf Dauer echt Kopfschmerzen verpassen. Es war relativ schnell klar: Mit diesem Gerät im Jahre 2021 noch irgendetwas anfangen zu wollen, ging in dieser Form nicht. Es musste ein Facelift her. Und so bestellte ich für meinen Game Boy aus dem Jahre 1991 bei einem deutschen Modding-Vertrieb ein rundum neues Gewand.
    Das Paket war in Windeseile da. Nach gerade mal drei Tagen waren alle Komponenten beieinander. Mit einer Vorfreude wie zu Weihnachten barg ich des Kaisers neue Kleider aus den Kartons: Von Steuerkreuz.net gab es ein neues blaues Gehäuse, samt neuer Knöpfe in Gelb, ein neues Batteriefach, das nun mit Akku betrieben wird statt einmal die Woche ein Quartett der berühmten AA-Batterien zu verheizen. Und dann noch von ebay ein neues Display, das mit Hintergrundbeleuchtung und Technologie aus dem 21. Jahrhundert meinen Augen ein bisschen Erholung verschafft. Das Equipment war da. Nun galt es Hand anzulegen.

    Des Kaisers neue Kleider

    Face-Lifting

    Zunächst wurde der Gameboy aufgeschraubt und in zwei Hälften zerlegt. Ein Datenband, das die beiden Teile zusammenhält, musste beim Öffnen vorsichtig abgezogen werden, damit nichts von der Platine abreißt:

    Das Innenleben eines Gameboy Classic mit dem alten LCD-Bildschirm oben)
    Einsetzen des Displays mit Klebeband

    Die vordere Platine, die den alten Bildschirm beinhaltet, wurde komplett gegen den neuen ersetzt und im neuen Gehäuse millimetergenau mit Hilfe eines doppelseitigen Klebebandes in der neuen Schale fixiert. In Ermangelung eines Rahmens, der beim Positionieren hilft, war das eine recht fummelige Angelegenheit. Darunter fanden die neuen Knöpfe und das Steuerkreuz in der Verschalung Platz. Die alten hatten über die vergangenen drei Jahrzehnte einen gewissen unappetitlichen Film angesetzt, der vom Aussehen her irgendwo zwischen Batteriesäure und Ohrenschmalz lag. Also weg damit. Die Rückseite der neuen blauen Schale durfte die alte Hardware behalten und ließ sich ganz unproblematisch festschrauben. Dann noch beide Hälften wieder mit dem neuen Kabelband verbinden und einen ersten Testvorgang mit Batterien starten. Es klappt!

    It’s alive!

    Gut gebrüllt, Kätzchen!

    Links am Eck findet sich Platz für die Audio-Buchse

    Als nächstes stand ein neuer Audioausgang auf dem Programm. Über den integrierten Kopfhörerausgang klangen die Original Game Boys nämlich immer etwas leise und vor allem verrauscht, daher war dieser kosmetische Kniff für ein sinnvolles Arbeiten unabdingbar – der Kleine soll ja in ein Musik-Setup integriert werden. Dank einiger Modding-Videos lässt sich schnell lokalisieren, wo in dem kleinen Gehäuse noch ein paar Millimeter für einen zusätzlichen Ausgang zu finden sind. Dann einfach ausmessen und mit dem Bohrer vorsichtig an der entsprechenden Stelle ein Loch von 6mm Durchmesser ins Gehäuse knüppeln. Im Gehäuse wird von innen durch die neue Öffnung eine handelsübliche 3,5mm Klinkenbuchse geschoben (der Hals der Buchse sollte mehr als 40mm haben, sonst passt er nicht durch die dicke Gehäusewand der Verschalung) und mit der mitgelieferten Schraube fixiert. Abschließend werden nun drei Kabel – Masse, linker und rechter Kanal – am Mainboard an entsprechender Stelle angelötet (wir haben uns für die Pre-Poti-Variante entschieden, weil ich die Lautstärke des Game Boys ohnehin über den Mixer steuern werden) und mit der neuen Buchse verbunden.

    Zum Glück gibt’s Youtube. Video von Joe Bleeps

    Fertig ist der kleine Schreihals!

    Das Ohr zur Welt

    Finishing Touches

    Als letztes wird mit vorsichtigen Händen das Gehäuse wieder verschraubt, der neue Akku eingebaut, nachdem man ein paar der Batteriefedern aus dem Gehäuse gezogen hat, und vorne eine Displayscheibe an der Vorderfront angebracht, um den neuen Bildschirm vor Staub zu schützen. Nun mit klopfenden Herzen den neuen Anschalter ausprobieren und hoffen, dass alles klappt…

    Es kann losgehen

    Und es klappt! Er quäkt! Und wie!

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  • Allgemeines,  Alltag,  Latein,  Pädagogik

    10 Jahre

    Es ist kaum zu glauben, aber war: Mit diesem Monat werden es nun doch tatsächlich zehn Jahre, die ich an dieser Schule verbringe. Zehn Jahre. Eine komplette Dekade. Es war meine allererste Stelle, die ich nach dem Referendariat angetreten habe. Ich habe Kollegen kommen und gehen sehen. Manche wurden pensioniert, andere sind gegangen, um sich den Traum vom Häuschen im Grünen außerhalb von München zu verwirklichen. Es ist wirklich einiges an Fluktuation im Kollegium gewesen. So wie vermutlich an jeder anderen Schule auch. Ein fester Kern blieb. Ich gehöre dazu.
    Ich finde es interessant, wie sich mit zunehmenden Alter die Vorstellung von Zeit so radikal ändert. Wie schier endlos die Pubertät und das Erwachsenwerden dauert, bis das Abenteuer Leben endlich losgehen kann. Wie sich das Studium mit seinen 6-7 Jahren mal gerne wie Kaugummi zieht. Aber kaum im Berufsleben – schießen die Jahre immer mehr an einem vorbei. Und mit ihm die ganzen Leute um einen herum.
    Ich merke diese Schnelligkeit immer vor allem dann, wenn ich auf ehemalige Schülerinnen und Schüler treffe, die einem in München über den Weg laufen, sobald man sich in Richtung Universität bewegt. Urplötzlich stehen sie nun vor einem – strahlend, mit ihrem ersten Bachelor in der Tasche. Ihrem Master. Und man erschrickt, wenn man bedenkt, dass es doch nicht nur erst “zwei Jahre” seit dem Abi her ist, sondern schon sechs. Wie präsent die Erinnerung doch noch ist, dass man sie die letzten Wochen vor dem Abitur vor sich hat sitzen sehen. Und trotzdem ist immer noch eine Verbindung da. Ganz egal, wie lange sie schon her ist. So wie letztes Jahr, als ich wegen der Systembetreuung auf eine Tagung nach Bad Aibling kam: Zum Einchecken wurde man an die Rezeption gelotst, an der uns eine junge Dame den Weg wies… und mich schon aus der Ferne anstrahlte. Ich wusste, ich kannte das Gesicht. Ich konnte es nur nicht mehr einordnen – bis ich an der Reihe war und sie mir unversehens vor allen um den Hals fiel. Ich hatte sie damals im Referendariat als Schülerin für ein halbes Jahr in Latein gehabt. Im Zweigschuleinsatz. Das war anno 2008. Da war sie gerade mal elf Jahre alt. Mittlerweile ist sie mit ihrer Ausbildung fertig und arbeitet bei der Stadt München in Amt und Würden. Mit strahlenden Augen erzählte sie mir von ihrem Werdegang, von ihrem tränenreichen Abschied vom Gymnasium (unter anderem auch wegen Latein)… und von der Gewissheit trotz allem den richtigen Schritt gemacht zu haben. An die lateinische Grammatik konnte sie sich nicht mehr erinnern. Aber an mich. Und meinen carnifex, den ich als Running Gag permanent in den Unterricht eingebaut hatte. Und genau diese Gemeinsamkeit war es, die uns auch über die ganzen Jahre hinaus verband. Einfach schön.
    Das größte Kompliment folgte aber noch, als nach zwei Wochen die Fortbildungsbescheinigungen zu der Veranstaltung per Post in der Schule eingingen. Mittlerweile hatte ich Bad Aibling mental eingetütet und war schon wieder in den Alltagstrott inmitten von Vorbereitungen, Schulaufgaben und Kabelfrickeln eingespannt. Bis ich das Dokument aus dem Umschlag holte und das zu sehen bekam.

    Was für einen tollen Beruf wir doch haben!

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  • Allgemeines,  Technik,  Unterricht

    Von Stöberfreuden

    Nachdem unser PC-Raum letztes Jahr umgezogen ist, wurde mir als frisch gebackener Anwenderbetreuer die große Ehre zuteil, mich um die Hinterlassenschaften zu kümmern, die in diversen Kisten ihr Dasein fristeten. Wie lange sie tatsächlich dort schliefen, konnte ich anfangs nur erahnen. Mittlerweile herrscht ein bisschen mehr Gewissheit; und jede Menge Nostalgie: Denn was dort zu Tage gefördert wurde, war enorm. Eine Schatz an Technik und Dokumenten aus längst vergangener Zeit, die teilweise fast genauso alt sind wie ich selbst. Für die einen nutzlos, für die anderen aber ein faszinierender Blick in eine Zeit, als PCs ihren Einzug in die Schule hielten. Dass das nicht erst seit der Digitalisierung passiert, haben wir hiermit schwarz auf weiß!

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  • Prüfungen,  Unterricht

    Von einer Episode aus dem Referendariat; Oder die Blogparade #refisbelike

    Bob Blume hat zu einer Blogparade aufgerufen, die es dieses Mal in sich hat. Denn sie führt uns Kollegen zur Quelle unseres professionellen Schaffens zurück. Auf eine Reise in unsere beruflichen, mittlerweile von Nostalgie verklärten Anfänge, als wir voll waren von Idealismus und gleichzeitig von Selbstzweifeln geplagt. Kurz und gut: Es geht unter dem Hashtag #refisbelike ums Referendariat *insertdramaticdrumrolls* . Für uns alle eine prägende Zeit, eine Erfahrung irgendwo auf der Skala zwischen Traum und Trauma. Ich persönlich bewege mich eher in positiven Gefühlsgefilden, weil ich dank meiner Ausbilder und Seminaristen tolle Leute um mich hatte, die einander unterstützten, statt sich in Ränkekämpfen zu erschöpfen. Auch mit den Schülern klappte es in der Regel ganz gut. Auch wenn es nicht immer danach aussah – und gelegentlich einer vermeintlichen Katastrophe glich. Genau davon soll meine heutige Episode handeln. Sie ist all den Referendarinnen und Referendaren gewidmet, die kurz vor ihrer praktischen Ausbildung stehen – oder sich schon mittendrin befinden und eventuell am Hadern sind. Vielleicht erkennt ihr euch ja wieder…
    Ich befand mich damals im letzten Ausbildungsabschnitt und erbte nach der Rückkehr an meine Seminarschule eine zehnte Klasse, die es in sich hatte. Es war eine der Klassen, die von Anfang an austestet. Die gleich in der ersten Stunde abklopft, wie sie sich zum Lehrer draußen am Pult positionieren wollte. Und das geschah in der Regel durch offensive Provokation. So wurde meine Mitreferendarin bei ihnen gleich in der ersten Stunde nach ihrer Körbchengröße gefragt. Meiner Vorgängerin aus dem letzten Jahr erging es sogar noch schlimmer. Sie hatte nach monatelangen Demütigungen und permanenten Entgleisungen von Schülerseite regelmäßig den Unterricht unter Tränen verlassen. Tja, und nun stand ich da. Mit all den Geschichten im Kopf, die mir im Vorfeld über die Klasse erzählt wurden. Die Übeltäter, die ich bis dahin nur vom Namen her kannte, bekamen beim Studieren des Sitzplans nun erstmalig ein Gesicht. Und das selbstgefällige Grinsen einiger Herrschaften in der Klasse ließ schon in den ersten Minuten nichts Gutes erahnen. Und so war es dann auch. Gleich nach meiner Vorstellung bekam ich vom Ryanädelsführer laut erklärt, dass ich von der Klasse nichts zu erwarten hätte. In Englisch seien sie grottenschlecht, da sie seit 3 Jahren nur Referendare gehabt hätten. Wie nett, dass ich auch einer davon war. Würde mir das heute passieren, hätte ich irgendeinen flapsigen Spruch drauf. Aber im Referendariat sollte über allem der Schein der Professionalität schweben. Deswegen tat ich das, was man uns beigebracht hatte: Nicht reagieren und weitermachen. So wie es halt alle anderen Refis tun. Und damit war ich so wie alle anderen. Und das ließen sie mich spüren.
    Die ersten Stunden verliefen sehr schleppend. Ein Teil war sehr willig, aber die Alpha-Wölfe waren permanent damit beschäftigt ihr Revier zu behaupten. Hausaufgaben wurden nicht gemacht, Arbeitsphasen im Unterricht boykottiert oder mit Zwischenrufen lahmgelegt. Immer wieder wurden aus Mäusen Elefanten gemacht und sinnlose Diskussionen vom Zaun gebrochen, um absichtlich Unterrichtszeit zu vergeuden. Ich kam mit meinem Stoff nicht durch. Und das setzte mich zunehmend unter Druck. Immerhin sollte ich in dieser Klasse meine letzte Lehrprobe abhalten. Dafür musste die Chemie zwischen mir und den Kindern einfach stimmen. Danach sah es aber zusehends nicht aus. Die Situation verschärfte sich von Stunde zu Stunde nur noch mehr. Die Alphawölfe forderten in jeder Stunde hartnäckig ihr Recht auf Rede- und Narrenfreiheit ein. Und ich konterte mit der typischen Beamtenkonsequenz eines Junglehrers: Ich schrieb – wie man’s halt so macht – Briefe an die Eltern, lud mir meine frechen Früchtchen zum Einzelgespräch nach der Stunde, formulierte meine Forderungen pädagogisch korrekt in Ich-Botschaften, die wir auf Seminartagen fleißig geübt hatten. Es nützte alles nichts. Auch Hinweise brachten nichts. Zu Nacharbeiten erschienen sie nicht. Verweise, die ich wegen groben Disziplinverstößen verschickte, kamen nie zurück, weil sie wohl in der Post “verloren gegangen” seien. Es sah nicht gut aus. Und meine Laune, mich für so eine Lerngruppe weiter zu verausgaben, die sowieso alles doof fand und hinterfragte, ging spürbar zurück.
    Und dann kam die Stunde, die auf einmal alles herumriss. Eigentlich war es eine Stunde wie jede andere auch: Thematisch nett, aber unaufregend: Unser Englischbuch hatte zum Thema Castingshows eine Doppelseite auf Lager und befasste sich mit der Frage, wie kurzlebig Stardom in Zeiten von DSDS und Popstars tatsächlich sein konnte – wie üblich aufgemacht mit dem stereotypischen Zeitungsartikel aus einer britischen Zeitung, zwei Bildchen aus American Idol und auf der rechten Seite zur Auflockerung des Themas dem Songtext von Money for Nothing der Dire Straits; ein Song, der Leuten, die außerhalb der 80er groß geworden sind, überhaupt nichts sagt. Also entschied ich mich, an das Thema anders heranzugehen. Ich wollte mir ältere Bilder von Stars zusammen suchen. Zum Einstieg ein paar, die den Kindern etwas sagen könnten, und auch ein paar unbekannte, um die Schüler ein bisschen in neue Gefilde zu führen und sie anhand des Bildes auf deren Vita schließen zu lassen. Eine kleine nette Übung, um die Schüler ein bisschen zum Reden zu bringen. Immerhin stand eine mündliche Schulaufgabe in ein paar Monaten auf dem Plan. Da kann man nicht früh genug mit dem Üben anfangen. Aber, oh Graus: Richtig gute Bilder fand ich online einfach nicht. Deswegen kramte ich meine gut sortierte 80er-Jahre-Schallplatten-Sammlung durch und packte vier Plattencover ein, auf denen die Sternchen meiner vergangenen Jugend in Großaufnahme zu sehen waren. Ich erinnere mich noch genau an das Quartett, das die Klasse in helle Aufregung versetzen sollte: Das Debütalbum von Kylie Minogue, Actually von den Pet Shop Boys, Das Best of von Wham! und dann – einfach weil es so furchtbar 80s war – You spin me round von Dead or Alive.

    the 80s in their full glory

    Es war vor allem dieses Cover mit Frontmann Pete Burns und seiner Pailetten-Augenklappe, das die Klasse in hellste Aufregung versetzte. Die Jungs waren völlig entsetzt ob der offensiven Androgynität seiner Person, die Mädels sichtlich

    beeindruckt von Frisur und Outfit. Und so entsponn sich in der Klasse während meiner geplanten Sprechübung eine riesige Debatte darüber, was für eine Vita so ein Mensch hinter sich haben muss, um sich für seine Debutplatte derartig ablichten zu lassen. Die einen vermuteten eine alien abduction, andere eine langjährige Karriere bei der Motorradgang der gay pirates. Andere dichteten ihm einen tragischen Unfall in seinem früheren Beruf als Torero an, bei der er sein rechtes Augenlicht verlor. Das Entsetzen steigerte sich, als ich zum Abschluss der Stunde noch das dazugehörige Musikvideo vorspielte, in dem Pete Burns mit Tanzmoves verstörte, die in jeder Disco zu wüsten Schlägereien führen würden. Er klapperte mit imaginären Kastagnetten, schüttelte einen Tadelfinger im Takt auf die verwunderten Zuschauer und kreiste lasziv mit seinen Hüften – komplett in einen fliederfarbenen Bademantel gehüllt. Die Klasse war… begeistert. Und wollte das Video nochmal sehen. Und nochmal. Sie verließen die Stunde mit den ersten Songzeilen auf den Lippen, googelten beim Herausgehen das Video mit ihren damals noch kaum internetfähigen iPhones 3S. Zurück blieb ich. Etwas erstaunt, wie gut das heute geklappt hatte. Ich hatte mit rein gar nichts gerechnet. Und das komplette Gegenteil bekommen. Das Eis war bestimmt noch nicht gebrochen. Aber es war geschmolzen. Und Pete Burns hatte den Anfang gemacht.
    Daher baute ich ihn in den nächsten Stunden immer wieder in den Unterricht ein. Wir recherchierten, was aus ihm und seiner Band geworden war (eine entsetzte 10A: Er hatte sich in eine Frau umoperieren lassen), ich erwähnte ihn in Übungen zu indirekter Rede und if clauses. Beim Lehrervortrag kopierte ich seine Moves, tadelte geschwätzige Schüler mit der Burnschen Discohand, verdeutlichte wichtige Regeln mit den imaginären Kastagnetten aus dem Video. Als die mündliche Schulaufgabe heranrückte und wir mit Mock Exams begannen, schmückte sein Konterfei die imaginäre Schuluniform, die die Schüler in einem Rollenspiel dem Direktor als offizielles Outfit der Schule anpreisen sollten. Es lief auf einmal wie am Schnürchen. Die Zwischenrufe waren verschwunden, Hausaufgaben wurden gemacht. In der Lehrprobe explodierten sie mit guten Einfällen und erarbeiteten meine Tafelbilder quasi im Alleingang. Als die Stunde vorbei, rief einer der Alpha-Jungs deutlich hörbar in Richtung Prüfungskommission: “Also wenn das keine Eins war, dann haben die Leute dahinten keine Ahnung, was geiler Unterricht ist.” Die Kommission verließ sichtbar verdattert das Klassenzimmer in Richtung Direktorat, um sich zu besprechen – und drei der Jungs folgten ihnen, um ihnen zu erklären, wie toll die Stunde für sie gewesen sei. Als ich dann tatsächlich die Eins in der nächsten Stunde verkündete, erhielt ich die ersten Standing Ovations meiner Lehrerlaufbahn. Ich war wirklich zu Tränen gerührt. Vor allem, da nun langsam das Ende meines Referendariats angekommen war und ich von der Klasse Abschied nehmen musste. Dabei hatten die Chancen so gut gestanden, dass ich von meiner Seminarschule ins Stammpersonal übernommen werde. Der Bedarf für meine Fächer hatte eine Planstelle nötig gemacht, ich war namentlich von meiner Schulleiterin angefordert worden. Aber es half nichts. Man schickte der Schule zwei Referendare – und ich war raus. Leider. So läuft nun mal das System. Und so konnten wir nichts weiter tun, als uns Mitte Februar zu verabschieden. Bei einer riesigen Karaoke-Party, für die ich mein komplettes XBox 360-Equipment in die Schule schleppte. Inklusive zweier Plastikgitarren, Mikro und Schlagzeug, mit denen wir bei selbst gemachtem Kuchen sangen, schrammelten und trommelten. Der Höhepunkt der Zeremonie war allerdings mein Abschiedsgeschenk, für das die Klasse komplett zusammengelegt hatte. Sie hatte die imaginäre “Schuluniform” aus dem Rollenspiel von vor ein paar Monaten kurzerhand in Eigenregie nachdesigned und in einem Laden

    nachdrucken lassen. Das T-Shirt habe ich heute noch. Einfach nur, um es gelegentlich hervorzuholen und mich noch einmal an diese Klasse und unseren Werdegang zu erinnern. Hinter das Geheimnis das Erfolgs in dieser Klasse bin ich bis heute nicht gekommen. Vielleicht habt ihr ja eine Idee. Am besten in den Kommentaren 🙂

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  • Allgemeines,  Prüfungen,  Unterricht

    Von blankem Horror

    Es dürfte irgendwann um 1997 gewesen sein. So richtig kann ich mich nicht mehr erinnern. Aber ich dürfte damals in der Oberstufe gewesen sein.  Ich spazierte damals vergnügt zur dritten Stunde in die Schule. Die ersten beiden Stunden waren ausgefallen, und mein Schultag würde so mit dem Leistungskurs Latein beginnen. Als ich den Raum betrete, scheint alles wie immer. Ich sehe die ganzen Leute vor mir, in eben der Sitzordnung, wie sie für unseren Kurs üblich war. Alle waren schon eingetrudelt und in aufgeregte Gespräche verwickelt. Mein bester Freund redete mit hochrotem Kopf auf seinen Vordermann ein, griff sich regelmäßig in die Haare, kritzelte auf einem Blatt Papier herum, radierte, murmelte. Ich nehme rechts von ihm Platz und entziffere aus dem Gekritzel mathematische Formeln, allem Anschein nach etwas zum Thema Kurvendiskussion. Zu Beginn kann ich mir einen amüsierten Kommentar nicht verkneifen. Ich ernte aber nur entgeisterte Blicke. “Unsere Matheklausur gerade war dermaßen schwer, ich kann da von Glück reden, wenn es noch vier Punkte werden”, zischt mir mein Freund entgegen, bevor er sich wieder seinem Vordermann zuwendet und hektisch Ergebnisse vergleicht. Im ersten Moment registriere ich das noch gelassen, bis ich von meinem Freund zugeraunt bekomme “Ich hoffe, eure Klausur war einfacher.”
    Unsere Klausur? Ich stutze. Ich habe heute keine Matheklausur geschrieben. Ich bin ja gerade erst in die Schule gekommen. Zur dritten Stunde. Die ersten beiden Stunden waren doch ausgefallen… oder? Ich werde etwas unruhig und schaue mich im Klassenraum nach Leuten um, die in meinem Mathekurs sitzen, um mich dessen zu vergewissern. Aber ich bin hier der einzige. Die nächsten 45 Minuten der Lateinstunde nehme ich nur physisch wahr. Im Kopf drehen sich Fragen über Fragen. Oder eher gesagt nur eine einzige: Habe ich etwa gerade eine Matheklausur verschlafen? Nein, das kann nicht sein, sowas passiert mir nicht. Die Termine sind Wochen vorher bekannt gegeben worden. Ich hätte mich hundertprozentig darauf vorbereitet. Andererseits ist es bei uns in der Oberstufe üblich, dass die Mathekurse am selben Tag parallel ihre Klausuren schreiben. Und neben mir wird gerade heftigst über eine eben geschriebene Mathearbeit diskutiert. Ich werde zunehmend unruhiger, rutsche auf meinem Stuhl hin und her und starre mit leerem Blick auf die Uhr, auf dass sie die 45 Minuten schneller vergehen lasse. Ich muss jemanden aus meinem Mathekurs finden und mir Klarheit verschaffen.
    Als der Gong ertönt, bin ich der erste, der wie von der Tarantel gestochen aufspringt und zur Klassenzimmertür hechtet. Im Gang schieben sich bereits Massen von Leuten durch die Schule. Unterstüfler, Mittelstüfler, ein paar Lehrer – und irgendwo mittendrin Manfred. Wir nannten ihn aufgrund seiner körperlichen Statur schlicht und ergreifend “Bäpf”. Er sitzt in meinem Mathekurs  zwei Reihen hinter mir und ist für die nächsten Sekunden der Mann, der diesen Tag in eine Katastrophe oder riesige Erleichterung verwandeln kann. “Bitte sag mir nicht, dass wir heute eine Matheklausur geschrieben haben”, keuche ich ihm entgegen, als ich mich durch die Schülermassen gewühlt habe und endlich bei ihm ankomme. Seinem Gesichtsausdruck kann ich die Antwort schon ablesen. “Sag mal, wo bist du denn gewesen? Wir haben alle auf dich gewartet! Hast du die Verlegung des Termins nicht mitbekommen” fragt Bäpf ungläubig. “Das wissen wir doch schon seit der ersten Woche des Schuljahres!”
    Und da merke ich, wie es mir den Boden unter den Füßen wegzieht. Da haben wir den Salat. Ich habe wirklich eine Klausur verpennt. Ich bin in der Kollegstufe eines Gymnasiums und habe eine der wichtigsten Prüfungen auf dem Weg zum Abitur schlichtweg vergessen. Unentschuldigt gefehlt am Tag einer angekündigten Prüfung bedeutet bei uns in Bayern automatisch 0 Punkte. Note 6. Damit setze ich meinen guten Abischnitt aufs Spiel. Nein. Falsch. Damit IST der gute Abischnitt aufs Spiel gesetzt. Die Sechs habe ich sicher. Mit pochendem Herzen und dem wohl tomatigsten Gesichtsrot, das es jemals an meiner Schule gegeben hat, begebe ich mich in das nächste Klassenzimmer, gehe im Kopf durch, wie ich das meinem Mathelehrer erklären soll, der ja ohnehin als ein harter Hund gilt. Oder meinen Eltern. Und vor allem mir selbst. So eine Kopflosigkeit kenne ich von mir überhaupt nicht. Wie konnte das passieren, dass mir diese Terminverlegung durch die Lappen gegangen ist? Ich bin so in Gedanken verloren, dass ich gar nicht registriere, in was für einem Unterricht ich überhaupt sitze. Ich suche im Raum nach dem Lehrer des Kurses, um zu sehen, ob ich nicht schon wieder etwas verschusselt habe und blicke Richtung des Lehrerpultes. Dort sitzt aber nicht einer meiner Lehrer. Dort sitzt einer meiner jetzigen Kollegen.
    Und dann wache ich auf. Jedes Mal. An genau dieser Stelle. Alle drei bis vier Monate kommt dieser Traum. Ich durchlebe jedes Mal die gesamte Achterbahn der Gefühle. Die Panik, als ich merke, was passiert ist, die Unruhe, meine Selbstgeißelungen. Und letztlich die endlose Erleichterung, wenn ich merke, dass ich im Jetzt des Jahres 2017 aufgewacht bin – mit einem Abi und zwei Staatsexamina in der Tasche. Warum es jedes Mal die Mathematik ist, die mir diesen Horror einbringt, kann ich nicht sagen. Ich war in Mathe immer solide. Nicht brilliant, aber passabel. Und trotzdem hat sich da bei mir irgendwie ein kleines Trauma festgesetzt, das mich viermal im Jahr um den Schlaf bringt.
    Verrückt, wie sich Schule auch noch nach Jahren bei uns festsetzen und wüten kann. Ich hoffe, dass keiner meiner Schüler wegen mir so etwas durchleben muss…

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  • Allgemeines,  Prüfungen,  Technik,  Unterricht

    Über meine Lehrprobe

    avat_shockFrüher oder später erwischt jeden von uns Lehrern dieser seltsame Moment – Der Tag, an dem uns zum ersten Mal unsere alten Lehrproben in die Hände fallen – oft aus Zufall, noch öfter tatsächlich, weil viele dieser Stunden für den Unterricht immer noch gut nutzbar sind. Irgendwie sind uns diese Lehrproben noch immer wunderbar vertraut und gleichzeitig so fremd. Kein Wunder, immerhin hat man damals im Referendariat drei Wochen auf diese eine Stunde hingearbeitet, das Material stundenlang korrekturgelesen und mit allem, was man damals drauf hatte, verschönert. Andererseits: Wieviel Zeit ist mittlerweile ins Land gezogen, wie sehr hat sich seitdem die eigene Perspektive geändert! Viele der Materialien und Arbeitsaufträge sind zwar kunstvoll in Szene gesetzt, haben aber stets etwas künstlich Überbordendes, das sich an Maßstäben eines Vollzeitlehrers gemessen völlig überzogen anfühlt. Meine zweite Lehrprobe war in dieser Hinsicht der absolute Overkill.
    Mein Thema lautete damals schlicht und ergreifend “Kreative Texterschließung im Englischunterricht der sechsten Klasse”. Dreh- und Ausgangspunkt dieser Stunde war ein Lektionstext über den Schulalltag eines kleinen kenianischen Jungen im damaligen Englischbuch. Um den einigermaßen in Szene zu setzen, zog ich alle Register, die mir damals zur Verfügung standen. Zur Hinführung an den Text erfand ich für meine 12-jährigen Schüler einen riesigen narrativen Rahmen, den ich über die gesamte Woche vorher kunstvoll über die vorangehenden Stunden gespannt hatte. Ich erfand einen Schüleraustausch zwischen der Schule unserer Englischbuch-Klasse und der fiktiven Schule aus Kenia, der in der Lehrprobenstunde gipfeln sollte. Ich erfand eine Rede des kenianischen Schuldirektors, der extra unsere Schulbuchklasse besuchte, sprach sie für eine Listening Comprehension-Aufgabe mit einem Mikrofon ein und verfremdete mit Plug-ins meine Stimme so, dass mich keines der Kinder erkannte – komplett mit Hintergrundgeräuschen, klatschendem Publikum und eingespielter Blaskapelle.

    notepad
    Das Notepad meiner imaginären Schülerzeitung

    Aus der Rede sollten die Schüler meiner Klasse die wichtigsten Informationen über Kenia herausfinden und zusammentragen, bevor der Direktor einen Brief eines seiner Schüler übergab, der von seinem Schulalltag aus Kenia berichtete – nämlich eben den Lektionstext aus dem Buch. Zum Festhalten der wichtigsten Erkenntnisse bekamen die Schüler den Auftrag, einen Steckbrief der wichtigsten Aussagen aus dem Text zu filtern, um sie für die nächste Ausgabe der aktuellen Schülerzeitung zusammenzustellen. Diese hatte ich über Wochen als reales Magazin vorbereitet. Meine Schülerzeitung hatte einfach alles. Ich hatte ein Logo entworfen, ein Emblem, Fotos, Banner, ein komplett in sich stringentes Layout – alles auf DinA3-Bögen doppelseitig, gefalzt und getackert in einem Copyshop in Hochglanz ausdrucken lassen. Für eine Summe, die damals einen Großteil meines kargen Refi-Gehaltes verschlang. 

    Image
    Mein Oscar-verdächtiges Layout

    Gipfeln sollte die Lehrprobe damals in einer Postkarte, die die Schüler dem imaginären Schüler auf seinen Text schreiben sollten. Reale Postkarten natürlich. Diese wurden dann am Ende der Lehrprobenstunde bei mir abgegeben, damit ich sie symbolisch an den Jungen (den es natürlich nie gab) abschicken konnte. In der nächsten Stunde wäre ich mit einem Antwortbrief angekommen, in dem sich der Junge für die Fanpost bedankt und der Klasse ein echtes afrikanisches Gericht mitgeschickt hatte – das natürlich ich zuhause gekocht hatte.
    Wer spätestens an dieser Stelle ungläubig den Kopf schüttelt: Ja, ihr tut das zurecht. Auch ich bin etwas verstört, während ich diese Zeilen schreibe, wieviel Arbeit in dieser einen Stunde steckt. Aber Mitleidende werden es verstehen: Es ist eine Lehrprobe. Die Note, die auf diese Stunde gegeben wurde, bestimmte maßgeblich den Schnitt des zweiten Staatsexamens mit. Und in den mageren Zeiten, wo die Planstellen nicht an den Bäumen wuchsen, entschieden Lehrprobenstunden über eine direkte Anstellung nach dem Referendariat oder eben Arbeitslosigkeit.
    Bevor die Frage nach der Note auch bei dieser Wahnsinnsstunde aufkommt, kann ich sie gleich beantworten: Ich bekam eine Zwei. Denn irgendwas hatte der Stunde letztendlich gefehlt. Nämlich die Schüler. Die kamen nämlich geschlagene 10 Minuten zu spät in den Unterricht, weil sie der Lehrer der Vorstunde nicht früher gehen lassen wollte (!!!). Als Reaktion darauf musste ich viele Phasen der Lehrprobenstunde quasi on the fly umwerfen und während der Stunde im Hinterkopf umstrukturieren, um genug Zeit für das Ziel der Stunde – nämlich die Postkarten – zu haben, das unbedingt erreicht werden musste. Ich hab in dieser Stunde echt Blut und Wasser geschwitzt. Und mit dem sauberen Kollegen, der mir 10 Minuten gestohlen hat, habe ich hinterher nie mehr ein Wort geredet.

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