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    Im falschen Film II – Jenseits von Stammtischparolen

    Na, da hab ich ja was losgetreten mit dem letzten Artikel. Erst meldete sich der werte Kollege Mike Graf, dann Herr Rau zu Wort. Thomas Kuban folgte mit einer Entsprechung. Und wir alle haben irgendwie ein Problem in den Blogs über Politik zu schreiben. Mike hat seinen Artikel mittlerweile wieder vom Netz genommen, Herr Rau attestiert sich selbst einen gewissen Widerwillen bei dem Thema. Mr Kuban ebenso. Ich selbst fand es ja auch irgendwie befremdlich. Dabei hatten wir alle gemeinsam einen wirklich interessanten Austausch zu politischen Ansichten: Wo liegt Objektivität, wo die Grenze beim Benennen von Problemen und dem Beginn der Übertreibung? Wo geht’s los mit Polemik? Sind Blogartikel zu Politik tatsächlich sinnvoller Austausch von Ansichten oder nur ein selbstgefälliges Brodeln im eigenen Saft? Fand ich spannend…

    A propos Brodeln: Hier in Südbayern ging’s jüngst heiß her. Eine Kundgebung zum Thema Heizungsgesetz in Erding zog massive mediale Aufmerksamkeit auf sich, nachdem sich dort eine bayernweit berühmte Kabarettistin und nicht minder bekannte Politiker zu dem Thema in teilweise doch wieder fragwürdig stammtischartiger Diktion geäußert haben. Vor einem Publikum, das von einer beachtlichen Anzahl von rechten Gruppierungen, Querdenkern und Verschwörungstheoretikern durchsetzt war. Das mediale Echo war so katastrophal, dass nun Folgeveranstaltungen abgesagt wurden. Eine Münchner Veranstaltungslocation hat einen der Sprecher sogar offiziell ausgeladen mit dem Verweis auf die Unvereinbarkeit seines Gedankenguts mit dem ihrigen. Rücktrittsforderungen wurden laut. Stattdessen gab es “nur” eine Regierungserklärung, und die lautesten Sprachrohre sind seitdem auffällig ruhig; oder zeigen sich mit der ehemaligen Bundeskanzlerin, um sich ein bisschen in Glanz und Gloria von anno dazumal zu sonnen (und von Frau Merkel ziemlich vorgeführt zu werden 🙃) Andere Parteien rufen nun zu einer Gegenveranstaltung zu der in Erding auf, nennen sie nun die “Demonstration der Vernünftigen” – befeuern aber damit genau wieder die Spaltung, die uns immer wieder so aufregt. Ich will keine Einteilung in vernünftig und unvernünftig. Ich will einfach ein gemeinsam. Über Parteien und Ideologien hinweg. Punkt.

    Und während wir über das Einen reden, wird in Thüringen der erste blaue Landrat gewählt… und jede Partei beginnt damit sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe zu schieben, wie es dazu kommen konnte. So wird das nix 🙄

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    Im falschen Film

    Sorry, Leute. Wir müssen reden. Und zwar über Politik. Ich weiß, das nervt. Aber es kann nicht sein, dass wir so in unseren Positionen verharren und uns deswegen irgendwann mal gegenseitig die Kauleiste polieren. Ich verstehe, dass man sich im politischen Diskurs an anderen Strömungen reibt. Das war schon immer so. Nur hat sich der Ton dabei für mich gefühlt komplett verändert. Und zwar nicht zum Guten.

    Am Anfang war das Wort

    Vielleicht liegt’s am fortschreitenden Alter, am Zeitgeist. Vielleicht ist es Einbildung. Aber ich bekomme zunehmend das Gefühl im falschen Film zu sitzen. Der Diskurs in der Politik ist für mich spürbar rauer geworden. Das kommt natürlich nicht von ungefähr. Man muss sich ja nur umblicken und ein paar Jahre zurücksehen: Da saß in den USA auf einmal eine prollige Mixtur aus Misogynie, Narzissmus, Dekadenz und Fremdenfeinlichkeit im verantwortungsvollsten Job der Welt und schleuderte im Minutentakt krude und gelinde gesagt dumme Thesen unter die Massen. Ungefiltert, unzensiert und ohne auch nur einen Gedanken der Reflexion über die möglichen Folgen. So ging es mehrere Jahre lang – bis hin zu diesem skurrilen Debakel am Four Seasons Total Landscaping in Pennsylvania, das an Absurdität nicht mehr zu überbieten war. Man hatte das Gefühl, da krallen sich nicht einfach nur machthungrige Menschen am Thron fest. Sondern schaumschlagende Dummbeutel, die keinesfalls in ein solches Amt gehören. Nur leider scheint das seitdem etwas System zu haben.

    Lernen von Großmäulern

    Populismus funktioniert. Oder er funktioniert wieder. In einer immer komplexeren Welt, die uns aktuell mit einem Gros an Krisen zu überfordern droht, bietet er Simplizität. Man benennt einfach einen Schuldigen, auf den man den Frust abladen kann, und ab geht die Lucy. Pandemie? Von den Chinesen. Schlechte Wirtschaft? Liegt an der EU. Erstarken der Rechten? Liegt am Gendern. Klimawandel? Eine Lüge. Dazu kommt die Unterste-Schubladen-Rhetorik, die zusätzlich Feuer in ein ohnehin schon gefährliches Rezept bringt: Ausdrücke wie “Asyltourismus” kommen in Mode und suggerieren, dass Leute mal eben ihr Leben riskieren und ihre Heimat verlassen, nur um hier ein bisschen Spaß zu haben. Man spricht von einer schweigenden Mehrheit, die sich die Demokratie zurückholen soll – als ob diese Staatsform nur für einen eingeweihten Kreis der Bevölkerung gilt. Ich sehe Transparente auf Demos, auf denen offen aufgerufen wird, Politiker zu hängen. Merkel soll gehängt werden. Scholz auch. Die Grünen in ihrer Gänze auch – solange es noch Bäume gibt.

    Diese Enttabuisierung und absichtliche Erosion und Verrohung der Sprache bekümmert mich als Sprachenlehrer ganz besonders. Das früher Undenkbare aussprechen. Ausprobieren, wie sehr es eskaliert. Und dann beim nächsten Mal nachlegen. Oder das Opfer spielen. Mausrutschen. Sich wie die Geschwister Scholl fühlen, weil man sich als Querdenkerin einer Impfung verweigert. “Volkszorn” heraufbeschwören und damit schön Vokabular bedienen, das aus ganz düsteren Truhen der deutschen Geschichte geborgen wurde – aber es dann natürlich ganz anders gemeint haben.

    Verdruss

    Am Anfang sind es nur Worte, die enthemmen. Aber wie lange bleibt das so? Braucht es wieder ein Zeichen wie die Ausgehetzt-Demos 2018, als die Leute gegen die permanenten verbalen Entgleisungen in der Politik in München auf die Straßen gegangen sind? Oder sind diese Verfehlungen so allgegenwärtig geworden, dass man abstumpft und sie geschehen lässt? Ich persönlich muss sagen, dass ich müde werde. Denn auch im Freundeskreis nehmen die hitzigen Debatten deutlich zu. Man diskutiert nicht, sondern lädt seine Meinung ab. Fällt dem anderen ins Wort. Wird laut, beleidigt. Es geht nicht mehr um eine sinnvolle Auseinandersetzung mit dem Thema. Sondern wer seine Thesen am lautesten brüllt. Und schlimmstenfalls steht einer auf und verlässt die Gruppe. Manchmal für immer. Ist uns tatsächlich so passiert.

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