Mit diesem Tweet von @legereaude ging’s los. Und von dort in Windeseile über Twitter in sämtliche Himmelsrichtungen: #twanalog.
Das Prinzip dazu ist schnell erklärt: Interessierte schicken ihren Lieblingstweet in Briefform in die Welt hinaus und werden dort von Person zu Person über die Briefkästen “retweetet”. Die Tweets der digitalen Welt werden so auf charmante Weise in die analoge überführt. Putzig.
Und wieder die Manifestation eines Phänomens, das mir in letzter Zeit immer wieder über den Weg läuft: Die Wertschätzung des geschriebenen Wortes. Oder besser: Die Wehmut nach Handgemachtem. Ich bemerke den Trend auch in der Vehemenz, in der Literatur und Instagram-Accounts über Kalligraphie und Handletterings auf dem Markt aufschlägt. Mit hingebungsvoller Akribie werden dort Buchstaben nicht geschrieben, sondern geformt, ihre Entstehung zelebriert, jeder Strich, jeder Schwung kunstvoll zu Papier gebracht und von der Linse für die Nachwelt festgehalten. Es scheint fast so, als hätten wir durch das digitale Arbeiten zunehmend den Kontakt zum Analogen verloren und insgeheim sehr vermisst. Wie eine Reminiszenz an vergangene Tage, dieselbe verklärte Nostalgie, mit der Retro-Fans liebevoll ihre Vinyl-Platten auflegen, um mit feuchten Augen, das Knistern und Knacken zu vernehmen, das die Songs von einst durchzieht und begleitet.
Ich will diesen Trend bestimmt nicht kritisieren – im Gegenteil. Ich bin Teil davon und habe Handlettering und Sketchnotes mittlerweile in Phasen meines Unterrichts fest integriert. Ich war auch einer der ersten, der sich an #twanalog beteiligt hat. Aber die Aktionen zeigen mir eines ganz deutlich: Wir lieben Handgeschriebenes. Und vermissen es, wenn es verloren geht. Daher kann Lernen und Unterrichten niemals rein digital vonstatten gehen. Es würde uns etwas ganz Wichtiges fehlen. Unsere Handschrift. Unsere Individualität. Das “Anfassen” unserer Buchstaben. Das kann keine Datei, keine App, keine Maschine ersetzen.
Punkt.
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Über verstörende Mäuse
Vertretungsstunde in meiner fünften Klasse. Da nur die Hälfte der Schüler anwesend ist (die anderen wuseln im Sport herum), entscheide ich mich AUSNAHMSWEISE für einen Film. In der Fachschaft Latein sind wir medientechnisch mittlerweile so gut aufgestellt, dass ich auch schnell fündig werde. Eine “Sendung mit der Maus”-DVD mit Beiträgen zur römischen Geschichte lacht mich geradezu an. Die Folgen haben mittlerweile einige Jährchen auf dem Buckel. Den Beitrag zur Sonnenuhr des Augustus kenne ich sogar noch selber aus Schulzeiten. Das war anno 19…*unverständlichgrummelmurmelstammel*
Die Expertenmeinungen haben einen Großteil der darin aufgestellten Fakten mittlerweile widerlegt, aber das soll uns vorerst nicht kratzen. Wenn der Schatten des Obelisken am Geburtstag des Augustus genau auf die Ara Pacis fällt, um die Menschheit symbolisch auf seine Frieden stiftenden Taten hinzuweisen, ist es totenstill in der Klasse. Der Beitrag verbreitet echtes Indiana-Jones-Flair und verfehlt seine Wirkung nicht beim anwesenden Mini-Publikum. Ich blicke in 12 faszinierte Augenpaare – und 3, die etwas verstört dreinschauen. Es sind unsere drei Schüler aus dem Ausland, die zum ersten Mal in ihrem Leben eine Folge aus der Sendung mit der Maus sehen. Der Beitrag selber ist wunderbar für sie, was ihren Unmut erregt, sind die Zeichentrickclips dazwischen, mit denen die Sachgeschichten aufgelockert werden. “Warum ist das ein blaues Elefant?” fragt Adrienne aus Frankreich und kratzt sich verstört am Kopf, während eine vibrierende Maus in Orange ihren Bauch aufmacht und ein Uhrwerk offenbart oder beim Angeln plötzlich einen Stöpsel eines Teichs zieht und buchstäblich auf dem Trockenen sitzt. Alles garniert mit denselben Soundeffekten, die sich seit den 70ern nicht mehr geändert haben: Das Kastagnetten-Klappern der Mausaugenlider, das Prusten des Elefanten, das Xylophongeschrammel, wenn einer der Charaktere Sternchen sieht. Das ist schon alles etwas oll… Aber dennoch so vertraut, dass man vor lauter Nostalgie darüber hinwegsieht. Selbst die Zehnjährigen. Als die drei Kinder immer noch etwas verstört umhersehen und die Faszination ihrer deutschen Klassenkameraden bemerken, meint die kleine Harriet auf Englisch, damit es keiner der Schüler mitbekommt: “Sir, what is it they’re so happy about? This big-eyed mouse is really creepy.” “Well, it’s a German thing.”
Case closed.
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Schöner arbeiten
Der heimische Arbeitsplatz ist für uns Lehrer ja ein ganz besonderes
r Fluch:Paradies: Hier köcheln die kreativen Säfte, hier werden neueste Konzepte ausgetüftelt, Tests erstellt, korrigiert, Präsentationen erschaffen, Noten eingetragen, eingescannt, recherchiert, diskutiert, explodiert. Kurzum: Hier laufen die Fäden unserer täglichen Arbeit zusammen. Und so sieht’s leider oft auch aus. Zu Hochzeiten gleicht der Arbeitsplatz einer papiergestaltigen Manhattan Skyline: Stapel über Stapel türmen sich munter neben-, über- und durcheinander, dazwischen tummeln sich Stifte jedweder Art, ein paar Büroklammern, Post-Its oder die hübschen Mantelbögen in Mintgrün. Es ist ein Chaos, in dem alles herrscht, nur nicht Ordnung. So war es auch über Jahre bei mir. Bis ich meinen Arbeitsplatz entschlankt und von allem Unnötigen befreit habe. Nach einem philologischen Studium und einem Referendariat, in dem man zwecks Geldnot alles für den heimischen Schreibtisch einsackt, was nicht niet- und nagelfest ist, eine ganz schöne Umstellung. Aber sie hat sich gelohnt. Und das Gefühl, langsam aber sicher von altem Kram Abschied zu nehmen und letztlich auch nehmen zu können, hat gut getan. Und der Arbeitsplatz blieb über lange Zeit bei mir erfreulich leer. Zu leer. Viel zu leer. Fast etwas trist 🙁
Daher wollte ich in diesem Jahr mein Schreibtischlein mit ein bisschen Exklusivität aufhübschen. Wenn ich schon mehrere Stunden täglich in Monitor, Bücher oder Arbeiten starre, um meine Augen zu ruinieren, dann doch bitte mit Stil. Und so stieß ich eines Tages auf das Schreibtischmobiliar der Pfeiffer Collection, die seit ein paar Monaten exklusiv von Evernote vertrieben wird. Das schlichte Design, gepaart mit ein paar pfiffigen Features für mehr Ordnung auf dem Schreibtisch, fand ich wirklich reizvoll… bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich das Zeugs bestellen wollte. Die Preise für die Komponenten an sich waren zwar nicht gerade billig, aber angesichts der gebotenen Qualität echt in Ordnung. Umgehauen hat es mich dann eher bei den Shipping Kosten. Für meine Lieferung von knapp 120€ wären fast 200€ zusätzlich angefallen! Allein für Verpackung und Zoll! Keine Chance, Monsieurs, da knausert der Schwabe in mir dann doch etwas zu sehr.
Und so begrub ich die Hoffnung auf ein bisschen Wow im Arbeitszimmer und arbeitete weiter an meinem unschmucken Tischlein in den neuen vier Wänden vor mich hin. Nur durch Zufall stieß ich ein paar Wochen später auf eine Collection, die zumindest in eine ähnliche Richtung wie die Pfeiffer Collection ging, preislich aber deutlich attraktiver war – vor allem wegen minimaler Versandkosten. Der asiatische Hersteller Samdi fertigt aus Bambusholz schöne funktionale Schreibtischapplikationen, die sich mit ihren geschwungenen Formen sehen lassen können. Nicht ganz so pfiffig wie die Evernote-Möbel, aber was hermachen tun die Dinger allemal. Allein schon der Monitorständer ist eine Wucht. Aus geleimten Bambus gefertigt ist er robust genug, um einen regulären Monitor auszuhalten und den Bildschirm so auszurichten, dass man beim Arbeiten gerade drauf schauen kann. Die Wirbelsäule wird’s freuen 😉
Der Freiraum, der durch die Erhöhung entsteht, lässt sich prima nutzen, um zum Beispiel die Tastatur nach getaner Arbeit darin verschwinden zu lassen. Bei PCs sollte dafür allerdings eine Slim Tastatur am Tower hängen wie z. B. die von Gmyle, die ich mir extra dafür gekauft habe. Eine reguläre Tastatur passt mit ihren üblichen Ausnahmen um ein paar Millimeter nicht unter den Monitorständer. Das ist kein Fabrikationsfehler, sondern gewollt. Denn dieser Ständer ist ursprünglich für Macs gefertigt. Als ob PC-Recken nicht auch ein bisschen Style verdient hätten…
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Re-Plugged!
Meine Damen und Herren,
heute ist ein großer Tag. Herr Mess wandelt nämlich seit heute wieder ganz offiziell unter den digital Lebenden. Damit ist die Odyssee, die Ende Oktober begann, endlich zu einem glückseligen Ende gekommen. Und das Beste daran: Dafür hat es keine 24 Bücher gebraucht – aber stattdessen eine ganze Menge Nerven. Die ganze Geschichte zu erzählen wäre müßig, denn im Vergleich zu all den anderen, die Ärger mit den Telefonanbietern hatten, wäre mein Bericht wohl nur einer von vielen, der sich nicht aus der Menge abhebt. Von daher spar ich mir den Groll und freu mich einfach wieder hier zu sein!
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Boo!
Latein in der 5D. Ich stehe vor 33 kichernden Hexen, Harlequins und Mini-Ninjas. In Vorfreude auf die anstehende Unterstufen-Halloween-Party sind sämtliche Fünftis heute in Kostümierung erschienen. Haben sich von den Eltern kunstvoll zu Miniatur-Monstern gestalten lassen. Mit aufgemalten Spinnweben, Narben und Hexenhüten sitzen sie vor ihren Büchern und sind schon ganz in Feierlaune. Aber von Unruhe keine Spur, insgesamt sind die Putzis noch sehr auf den Ablativ konzentriert. Insgesamt eine erfreulich disziplinierte Klasse.
Ich liebe solche Zeiten, in denen für die Kinder wieder diese besondere Zeit anbricht. Sei es Halloween (das vor 30 Jahren schlichtweg nicht in Deutschland existierte), Ostern oder – mein Favorit – Weihnachten. Ich lasse mich gerne von der Vorfreude von den Klassen anstecken. Immer wieder. Jedes Jahr aufs Neue. Man vergisst viel zu schnell, wie aufgeregt man selber als kleiner Steppke in der Adventszeit war, wenn das erste Türchen am Adventskalender geöffnet wurde. Wie die erste Kerze am Adventskranz leuchtete. Oder wenn die Wohnung nach den ersten Plätzchen, dem ersten Tannengrün roch. Die Kinder rufen uns die Besonderheit dieser Jahreszeiten immer wieder zurück ins Gedächtnis. So gesehen ist dieser Job also der perfekte Jungbrunnen.
Boo!Hast du eine Meinung dazu? Dann hinterlasse einen Kommentar oder eine Wertung.0 -
Der Dackel
Gewisse Dinge ändern sich in der Schule einfach nie. Niemals nimmer nicht. Das sieht man nirgendwo besser als auf der Zielgeraden eines jeden Schuljahrs: Das Abi ist rum, und alle atmen spürbar auf. Die Mittelstufen in der Neunten entdecken kurz vor dem Latinum auf einmal ihren verloren geglaubten Ehrgeiz – und unsere Sechsten entdecken… sich.
Pubertät und Pfingstferien fallen bei den sechsten Klassen immer auf wundersame Weise zusammen. Man entlässt eine vorbildliche Schnuckiputz-Truppe in den wohlverdienten Urlaub – und hat nach 14 Tagen einen wusligen Haufen vor sich, der auf einmal alles für wahnsinnig witzig hält, was auch nur ansatzweise in Richtung Erotik tendieren könnte. Und das nervt.
Plötzlich sind lateinische Grundzahlen hochinteressant, da die römische VI nicht nur “sex” gesprochen, sondern – ach! – sogar so geschrieben wird. Imperative zu gewissen Verben lasse ich absichtlich aus Übungen und Schulaufgaben raus, weil Formen wie dic! oder fac! meinen Unterricht für Minuten lahmlegen würden. Selbst das alt bekannte res “die Sache, das DING” wird von konspirativem Tuscheln und Kichern begleitet. Unfreiwilliger Höhepunkt ist aber wie jedes Jahr membrum, das die Buchverlage unglücklicherweise bis heute mit “das Körperteil, Glied” in ihren Wortschätzen stehen haben. Und mit Letzterem kennen sich die Kleinen seit Neuestem vermeintlich gut aus. Überall kritzeln sie in ihre Hefte das männliche Geschlechtsteil. Selbst in den hintersten Reihen kann ich erkennen, womit sie ihre Aufzeichnungen gerade schmücken, weil sie bei ihrer künstlerischen Tätigkeit immer wieder dasselbe Verhalten aufweisen: Erst wird gekichert, dann läuft man rot an, dann zeigt man das Werk seinem Nachbarn und gluckst im Duett. Der kleine Thomas macht das pro Stunde ca. dreimal. Letzte Woche wurde es mir dann zu bunt. Nachdem offensichtlich wieder mal eine anatomisch fragwürdige Zeichnung in seinem Heft gelandet war, bin ich im Unterricht schnurstracks auf ihn zu, um ihm sein magnum opus abzunehmen. Als er es merkt, wird er totenbleich, schmiert noch kurz in seinem Heft herum, bevor ich ihm seine Aufzeichnungen abnehmen kann. Aber statt eines membrum erblicke ich:>Den Dackel.
Respekt für diese Spontan-Zensur.Hast du eine Meinung dazu? Dann hinterlasse einen Kommentar oder eine Wertung.5 -
Vom schwersten Wort der Welt
Nein, es ist nicht “Sorry”. Da kann Elton John noch so sehr im Verbund mit einer Boyband trällern. Das geht mir wunderbar von den Lippen. Nein, für mich ist ein anderes Wort recht schwer geworden – und das, obwohl ich es schon zweimal in diesem Artikel benutzt hab. Zumindest im Schulbetrieb. Richtig geraten: Es ist “nein”. Das Wort, das den trotzigen Zweijährigen bei Tisch im Minutentakt rausrutscht. Das Wort, das den Suppenkasper letztlich in den Hungertod treibt. Das Destiny’s Child berühmt machte. Oder 2Unlimited, weil sie mir weiß machen wollten, es gebe keine Limits (und das zwölfmal hintereinander – ich hab’s nachgezählt!). Nur ich bekomm’s nicht hin. Das ist garantiert eine Verhaltensweise aus den Urzeiten des Referendariats, wo man aus allen Richtungen mit Arbeit zugeballert wird – und sie bereitwillig auf sich nimmt, um sich seine berüchtigte Krawattennote nicht zu versauen.
Ein paar Jahre später: Die Arbeit ist nicht weniger geworden. Aber rein nüchtern betrachtet besteht heutzutage die Möglichkeit, sie abzulehnen, wenn’s einfach zu viel wird. Zumindest theoretisch.
Letztes Jahr war ich beispielsweise als Lehrer bei einer Theateraufführung dabei, die von der gesamten Schulfamilie gestemmt wurde. Das war ein Haufen Arbeit, aber wir haben es gerne auf uns genommen. Es war eine tolle Erfahrung, da Schüler wie Lehrer gemeinsam etwas auf die Beine gestellt und aufgeführt haben, frei von “Standesgrenzen”, die sich zwischen den beiden Seiten immer wieder auftun. Tja, dieses Jahr ist etwas ähnliches geplant. Aber dieses Jahr bin ich auch ins Abitur eingespannt. Und zwar mächtig. Ein riesiger rauschender Papierberg wartet auf mich, der abgearbeitet werden “möchte” bzw. muss. Daher hab ich im Vorhinein meine Teilnahme an der diesjährigen Aufführung abgesagt. Ein erstes “nein” war gemacht. Aber das reichte nicht. Seitdem werde ich jeden Tag von einem Kollegenbelabert bearbeitetüberzeugt, einem Schüler, dem Regisseur, der mir vorheult, wie wichtig es wäre, möglichst viele Lehrer in die Aufführung zu bringen, dass es doch ein tolles Statement wäre, wenn ALLE in der Schulfamilie ihren Beitrag dazu leisteten. Ist es ja auch. Viel wichtiger: Das hab ich doch. Nur halt letztes Jahr. Dass ich dieses Jahr einfach zu viel zu tun habe, interessiert keinen.
Genauso letzte Woche: Von einer ehemaligen Kollegin aus dem Referendariat angesprochen, ob ich bei der nächsten von ihr veranstalteten Fortbildung in Augsburg im Juni einen Vortrag halten könne, der sich mit meinem letzten Buchprojekt auseinandersetzt. Auch hier hab ich abgesagt, mit dem Hinweis auf die Abiturvorbereitung meiner Schützlinge – und große traurige Augen geerntet. Ein einfaches “nein” hat nicht gereicht, egal, wie sehr ich es auch logisch begründen kann. Stattdessen wird täglich nachgebohrt, insistiert und wenn das nicht reicht: geschmollt. Wegen mir. So rede ich es mir zumindest ein.
Die Wahrheit ist doch letztendlich die: Beide Beispiele bergen denselben Denkfehler in sich: Man suggeriert der Person mit einer solchen Anfrage, unentbehrlich zu sein. Das schmeichelt natürlich erst einmal. Aber dahinter verbirgt sich eigentlich ein anderer Zweck: Nämlich dass sich andere Leute aufgrund meiner Leistung mit fremden Federn schmücken wollen. Wenn dem nicht so wäre, würde bei Absagen nicht so geschmollt werden. Das Gegenüber sieht sich enttäuscht, allein gelassen, verraten. Aber nüchtern betrachtet: Das ist nicht mein Problem. Mein Problem wäre es, nach einer Zusage gezwungen zu sein, irgendwo zwischen Schule, Unterrichtsvorbereitung und Abiturkorrektur mir noch ein paar Zusatzstunden aus den Rippen zu schneiden, um den Erwartungen der anderen gerecht zu werden – und irgendwann am engen Zeitkorsett zu zerbrechen. Versteht mich nicht falsch, ich bin von Haus aus sehr gesellig und mische sehr gerne bei solchen Aktionen mit. Aber wenn es zeitlich nicht drin ist, muss doch eine Absage einfach möglich sein.
Wir haben es beim Lehrersein mit einem Beruf zu tun, bei dem es nach oben hin kein Limit gibt. Die Arbeit hört nie auf. Wir haben keinen Feierabend, keine 9-to-5-Jobs. Man macht so lange, wie es einem der persönliche Berufsethos gebietet. Und man muss höllisch aufpassen, dass man sich auch mal freischwimt und zur Abwechslung auch ein bisschen an sich selbst denkt.
Damit bin ich bestimmt nicht allein. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass die Römer das Wort “Nein” nicht kannten. Vielleicht bin ich latinophiler als ich gedacht hatte…
Ich werd’s künftig einfach so machen und mir ein paar dieser Sticky Notes kaufen:
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Oh du schöne Bildungslandschaft
Tja, so wie es aussieht, werde ich meine Vorsätze dieses Jahr in Rekordzeit über den Haufen geworfen haben. Wie war das nochmal mit dem “Zeit für mich”? Im Moment ist es einfach nicht möglich. Im Moment prasselt die Arbeit auf mich ein, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Ein Glück, dass ich mir in solch wilden Zeiten angewöhnt habe, eine Checkliste anzulegen und die Aufgaben nach getaner Arbeit abzuhaken. Wie befreiend das ist, den daily chores auf diese Weise einen Tritt in den Allerwertesten zu verpassen! Für den Verlauf eines Tages steht zum Beispiel folgendes Geschmier an.
Wohlgemerkt: das ist das Pensum für einen regulären Tag. Morgen ist die Liste ähnlich voll. Und nächste Woche auch und… ach… ihr wisst ja wies weitergeht. Im Moment kommen für uns bayerische Lehrer ein paar besondere Belastungen oben drauf. Das berüchtigte Probe-Abi zum Beispiel. Denn von heute auf morgen kam die Meldung reingeschneit, dass die Schüler selbst bestimmen können, ob sie die Leistungen im Probe-Abi als großen, kleinen Leistungsnachweis oder überhaupt nicht zählen lassen wollen. Ein Begründung wurde uns nicht gegeben. Zumindest nicht offiziell. Aber ausschlaggebend war wohl das schlechte Ergebnis der Mathematik-Klausur. Wieso das jetzt auf ALLE Probe-Abis ausgeweitet wurde, darüber kann man Theorien aufstellen, für die mein Kopf im Moment keine Zeit hat. Ärgerlich ist es alle mal. Für die Lehrer, die (vor allem in Deutsch) bis zu 30 Stunden an einem Kurssatz Schülerarbeiten saßen, den sie jetzt getrost in die Tonne kloppen können. 30 Stunden für die Katz. Das sind fast vier komplette Arbeitstage, die auf einmal keine Sau interessieren. Ich hatte mit Englisch nochmal Glück im Unglück, weil die Klausur bei mir recht gut ausgefallen ist. Dennoch durfte ich heute jeden einzelnen Schüler im Kurs fragen, ob er seine Probe-Klasusur doppelt, einfach oder gar nicht zählen lassen wollte. Das heißt natürlich auch, dass ich die Noten in meinem Notenprogramm umgewichten muss. Und zwar händisch. Also alles großer Käse, der mitten im Schuljahr einfach zusätzlich aufhält.
Daneben noch die ganzen Negativ-Schlagzeilen über die katastrophale Einstellungssituation unserer Referendare. Zahlreiche Lehrkräfte mit Traumnoten bekommen keinen Job und wandern uns in andere Bundesländer ab. Leute mit einem Premium-Examen, die der Staat über zwei Jahre ausgebildet hat, und jetzt ziehen lassen muss. Leute, die das bayerische Bildungssystem über zwei Jahre Referendariat kennengelernt und inhaliert haben. Sie haben fachliche wie auch systemische Expertise. Und doch: Wir verlieren sie. An die Bundesländer, die händeringend nach Lehrernachwuchs suchen. An die freie Wirtschaft. An die Arbeitslosigkeit. Und das, nachdem sie sich an ihren Seminar- und Einsatzschulen den Allerwertesten aufgerissen haben. Ich kenne keinen Referendar, der in den letzten Jahren nicht unter 17 Unterrichtsstunden leisten musste (11-12 sind eigentlich die Regel, aber man kann die Anzahl um maximal 5 zusätzliche Stunden erhöhen). Kein Wunder, dass sie sich ausgenutzt fühlen. Selbst Kollegen mit einem Glanz-Examen im sehr guten Bereich – und jeder, der sich über Jahre durch zwei Examina gequält hat weiß, was das für eine Wahnsinnsleistung ist – stehen mit langen Gesichtszügen da. Die Lehrerverbände laufen Sturm, die enttäuschten Junglehrer organisieren spontan einen Flashmob am Marienplatz in München, nur wenige Meter weg vom Staatsministerium für Unterricht und Kultus:Dieses Video auf YouTube ansehen.
Die Verbindung zu YouTube wird erst bei einem Klick auf den Screenshot hergestellt.Bringen wird der Protest von allen Seiten wenig. Mehr als darauf hinweisen, dass die Einstiegschancen in den Staatsdienst schon seit Jahren immer geringer werden und dieses Problem jedem bekannt sein dürfte, wird offiziell nicht passieren. Stattdessen zerfleischt man sich innerparteilich gegenseitig* und bietet der Öffentlichkeit unschöne Einblicke, die den Eindruck vermitteln, als wisse man selbst an der Spitze nicht, was zu tun ist. Schade. Stattdessen werden die immer noch vorhandenen Löcher in den Stundenplänen mit Einsatzreferendaren oder Aushilfen gestopft, die nach einem (oder gar halben Jahr) wieder weg sind. Ich merke zunehmend, wie Klassen (vor allem in der Mittelstufe) bei den ständigen Lehrerwechseln die Referendare mittlerweile als lückenfüllende Notlösung ansehen, die man auch entsprechend behandeln darf. Ich hatte vor Kurzem mit einer meiner Klassen einen heftigen Disput, die die neue Deutschreferendarin allen Ernstes mit dem Satz “Oh, Frischfleisch” begrüßt haben (in derselben Stunde fragte man sie übrigens auch nach ihrer Körbchengröße). Eine absolute Unverschämtheit. Aber irgendwo auch verständlich, wenn die Klasse in Deutsch seit zwei Jahren jedes Mal nach sechs Monaten wieder jemand Neuen bekommt, der am Ende des Schuljahres wie ein Wanderlehrling zur nächsten Schule pilgern muss. Dass sich so ein ständiges Klinke-in-die-Hand-Drücken auf Dauer auch auf die Qualität des Unterrichts und die Lern(-un-)lust der Schüler auswirkt, muss man wohl keinem erklären.
Bottom Line: Im Moment fühlt man sich wie ein Packesel, der stoisch einiges ertragen muss.
Müde Grüße!
Für Außenstehende hier eine Zusammenfassung vom Bayerischen Rundfunk*man beachte den Grund: Es geht hier nicht um das Problem des Arbeitslosigkeit der Junglehrer oder die zufriedenstellende Versorgung der Schulen mit genügen Lehrkräften – sondern lediglich um die Korrektur von Zahlen.
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