Heute beim Aufräumen fiel mir plötzlich eine schillernde Scheibe in die Hand, die schon seit Jahren mein Regal als passiver Bestandteil meiner CD-Sammlung befüllt. Unsere Abi-CD des Jahrgangs 1999. Damals haben mein bester Schulfreund (heute beim Radio und auch sonst ein Vollblut-Tausendsassa) und ich dieses Opus erstellt und sämtliche Schüler unseres Jahrgangs interviewt: Zum Leben an unserer Schule, zum Abitur, zum Abistress, zu allem, was danach kommen würde. Das alles gebrannt… nein… gepresst auf eine Silberscheibe, die damals professionell in einem Presswerk gefertigt wurde. Das war 1999 wohlgemerkt. Ich war damals für die Technik zuständig und bin halb wahnsinnig geworden, so viel Audiomaterial damals auf meinem 166er Pentium, den ich damals besaß,im Magix Musik Maker zu schneiden und abzumischen.
Dann der Alptraum, 650 MB Audiomaterial auf einem Rohling zu verewigen, der in einem CD-Brenner der ersten Generation (mit Caddy!!!) eine Überlebenschance von knapp 50% hatte. Es war furchtbar. Wir haben das Audiomaterial damals vor- und zurückgehört, um Fehler aufzuspüren. Immer und immer wieder. Das hat es mir so sehr verleidet, dass ich seit 1999 die CD kein einziges Mal wieder eingelegt habe. Das ist nun 15 Jahre her.
Im Jahr 2014 sieht man das ein bisschen anders. Dieses Jahr werde ich wieder einen Kurs zum Abitur führen. Der wird dann in der ähnlichen Situation sein wie ich anno 99. Und in diesen 15 Jahren ist so viel dazwischen passiert, dass mich doch die Neugier gepackt hat, wie ich bzw. wir damals so drauf waren, und ich das Ding angehört hab. Was soll ich sagen? Es ist wie die Rückkehr in eine Wohnung, die man vor Jahren verlassen, aber doch irgendwie liebgewonnen hat. Man fühlt sich sofort wieder heimisch, weiß genau, wo welches Möbelstück stand und erinnert sich sofort an die Leute, die sie bewohnt haben. Die Stimmen unserer Klassenkameraden von damals lassen sofort wieder die dazugehörigen Gesichter vor dem geistigen Auge entstehen. Die Aufnahmen wurden vor den Prüfungen geführt, teilweise 5 Minuten vor Abiturbeginn (!), in den Pausen und auf den üblichen Feiern, die dem Abistress folgten. Die Euphorie über unsere gefühlte Mammutleistung ist allgegenwärtig zu hören. Damals hatten wir noch keine Ahnung, dass das eigentlich nur der Anfang war, und sich die Anstrengungen eines Abiturs durchaus steigern lassen. Jeder, der zwei Staatsexamen hinter sich gelassen hat, weiß, wovon ich rede.
Am interessantesten fand ich jedoch, die beruflichen Pläne von den vergessenen Schulkameraden aus der Vergangenheit zu hören und mit dem Heute zu vergleichen. Was war nochmal aus Julia geworden, die auf der CD noch vollmundig erklärt, Brauereiwesen zu studieren? Toni, der Jurist werden wollte? Hat Basti die Pilotenprüfung jemals bestanden, auf die er, wie man seinem Interview entnehmen kann, gerade lernt? Auch ich habe erst während dieser Monate, in denen ich in einem Krankenhaus gearbeitet habe, meine Ambitionen eines Medizinstudiums begraben, meinen Plan einer Ausbildung zum Tontechniker verworfen, und mich für das Lehramt entschieden – sehr zur Erleichterung meiner Eltern.
Was hat mich eigentlich dazu bewogen, das Lehramt zu ergreifen? Bei mir war es kein P-Seminar, kein Expertenvortrag oder eine Berufsmesse. Der Grund kommt ein paar Minuten später auf der CD zu Wort. Als er zu reden beginnt, muss ich sofort an ihn denken: Mein Lateinlehrer. Seine ruhige, distinguierte Ausdrucksweise und dieses schier endlos scheinende Wissen über lateinische Literatur, Geschichte und Sprache hatten mich damals unglaublich beeindruckt. Seine Begeisterung für das Fach schwappte auf mich über und wurde irgendwann auch die meine. Und das so sehr, dass ich diese Sprache studiert habe. Ob er das weiß? Habe ich ihm das jemals gesagt? Ist es für einen Lehrer nicht die höchste Adelung, wenn er weiß, dass er seine Schäfchen so inspiriert hat, dass sie es ihm gleichtun wollen?
Auch wenn mich die Produktion dieser ollen CD damals zur Weißglut getrieben hat, hat sie zumindest etwas Gutes: Mein Lateinlehrer wird nächstes Schuljahr endlich erfahren, wie wichtig er für mich war.