Jeder, der in der Mittelstufe mal vor einer Lateinklasse stand, kennt das: Langweiliger Stoff meets gelangweilte Klasse. Zumindest unser Lateinbuch scheint in der Disziplin “Gähn” Spitzenplätze zu belegen. Anders ist es nicht zu erklären, dass sich dort in erschreckender Weise Kapitel zum Thema Kirche und Religion tummeln, bei denen von Jahr zu Jahr immer mehr die Augen im Klassenzimmer gerollt werden. Über mehrere Seiten werden dort Bibelgeschichten und Heiligenlegenden ausgewälzt, die in der Grundschule noch Anklang gefunden hätten. Aber in der Welt eines pubertätsgebeutelten Jugendlichen rangiert der verlorene Sohn, oder der heilige Georg, der auszieht, um einen Drachen zu töten, irgendwo auf der Rangliste zwischen Zimmer-Aufräumen und dem Erledigen einer Steuererklärung. Sicher, die Auseinandersetzung mit der Bibel im Lateinunterricht ist sinnvoll.
Immerhin handelt es sich hierbei um das weitverbreitetste Buch in lateinischer Sprache überhaupt. Aber müssen es ausgerechnet die schon längst bekannten Stories sein? Vor allem bei den Heiligenlegenden gibt’s
auch für Erwachsene noch echt interessante, weil schauerliche Geschichten zu entdecken. Und seit ich da im Mittelalter etwas stöbern war, sieht’s mit der Motivation wieder deutlich besser aus. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass Gesichtspuder einen Patron hat? Oder Gartenfallobst? Selbst der Feierabend ist vielen so heilig, dass Notburga von Rattenberg ihn schützen muss. Für die Schüler (wie auch für mich) war so etwas ein absolutes Erweckungserlebnis. Vor allem aber die Heiligendarstellungen hatten es uns irgendwann angetan. Denn die lassen sich als super Aufhänger nutzen, um auf die jeweilige Lebensgeschichte zu spekulieren. Denn ebenso wie antike Götter sind die Heiligen immer an Attributen erkennbar, die einen Hinweis auf ihre (Leidens-)geschichte geben. Warum hat beispielsweise diese Dame einen Becher in der Hand, der scheinbar sehen kann? Weil’s sich hier um die heilige Lucia handelt, die ungerechtfertigter Weise von ihrem eigenen Ehemann angeklagt wurde und schließlich ein Schwert in den Hals gestoßen bekam. Aber um zu zeigen, dass ihr das nichts ausmacht, hat sich Madame kurzerhand auch noch die Augen rausgerissen. Die heilige Mutter fand das so beeindruckend, dass sie ihr neue Augen schenkte. Wieder was gelernt! Und jetzt guten Appetit!