Der letzte Edchatde hatte es mal wieder ganz schön in sich. Mit dem Titel “Zeit- und Stressmanagement für Lehrer” war für die 124. Runde ein echtes Reizthema gefunden. Das merkte man auch deutlich an der Frequenz, in der die Tweets aufschlugen. Darunter viele tolle Anregungen, die mich zum Nachdenken brachten. Das Ergebnis ist dieser Beitrag hier, der hoffentlich als nüchterne Nachlese/-wehe zu sehen ist – nicht als lamentierendes Jaulen. Strikt getrennt nach Frage 2 und 4 des Edchat.
- Papierwust: Ankündigungen, Notenlisten, Elternbriefe, Verlautbarungen, Terminänderungen, Stundenpläne; alles landet in Papierform im Fach, auf dem Arbeitsplatz oder wird mir – im Ernstfall – zwischen Tür und Angel in die Hand gedrückt.
- Fülle an Terminen: Schulaufgabentermine, Deadlines für den Jahresbericht, Zahlungserinnerungen für Klassenfahrten, Konferenzen, Fachsitzungen, Elternanfragen, Fortbildungstermine, zwischendrin auch noch private Verpflichtungen.
- Mein Körper: Vor allem in Stresszeiten, wo ich nur am Schreibtisch sitze, lahmt irgendwann mein Schulter- und Rückenbereich. Die Verspannungen strahlen in alle Himmelsrichtungen. Das Wissen, all diese Korrekturarbeiten erledigen zu müssen vor dem Hintergrund, dass sie in dieser geballten Form meinem Körper definitiv nicht gut tun, zermürbt mich spürbar.
- Mein Equipment: Meine Tasche tut ihr übriges, um meinen Rücken auf eine harte Probe zu stellen. Selbst wenn ich täglich immer nur schätzungsweise 20 Minuten mit dem Ding durch die Welt trabe, summiert sich sowas über die Jahre doch auf einigen Ballast, der mich im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Gleichgewicht gebracht hat.
- Fossilisierte Abläufe in der Bürokratie: Jede Schule ist ein Amt. Und wie überall hat sich über die Jahre ein gewisser Amtsschimmel festgesetzt. Gewisse Abläufe, die man seit den 70er Jahren so erledigt hat, wurden über die Jahrzehnte nie entrümpelt. So ärgert man sich oft mit bürokratisch überlasteten Vorgängen herum, die vielleicht vor 30 Jahren in ihrem Procedere in Ordnung waren, aber mittlerweile in einem Bruchteil der Zeit erledigt werden könnten. Das ist vor allem spürbar, sobald man sich über den Tellerrand der eigenen Schule wagt und sich informiert, wie andere Kollegien mit alltäglichen Dingen Notenberechnung, Absenzenregelungen, Schulaufgabenplänen oder Hinweisen an die Eltern umgehen.
- Unordnung: Je mehr Papier physikalisch in meiner Arbeitsumgebung aufschlägt, egal ob zuhause oder auf meinem Arbeitsplatz, ärgert mich. Ich habe oft das Gefühl, trotz eines Ordnungssystem an all dieser Zettelwirtschaft zu ersticken.
F4 Wie organisierst du Arbeitsprozesse (Workflow) so, dass selbstverschuldete Stressfaktoren minimiert werden? #EDchatDE
— EdchatDE (@EdchatDE) April 26, 2016
- Ich bin dazu übergegangen, mir für wichtige Termine einen ical-Kalender anzulegen. Bekomme ich also einen neuen Termin in Papierform ins Fach gelegt, wird er sofort eingegeben und das Papier-Original entsorgt. Durch ein kompatibles Widget kann ich den digitalen Kalender sofort mit ein paar Fingerwischern öffnen. Dauert keine 30 Sekunden, bis alles eingegeben ist. Eine App wie Antons Kalender Widget zeigt mir die neuen Termine immer auf dem Homebildschirm an. Da sehe ich sie definitiv eher als auf dem Zettel in meinem Fach.
- Meine TimeTex-Schultasche hatte ich schon mehrere Male einer Ausmistkur unterzogen. Aber let’s face it:
Das Ding ist riesig. Und alleine die Tatsache, dass locker vier volle Leitz-Ordner mühelos reinpassen würden, bietet genug Raum für Krimskrams. Seit Neuestem wage ich mich daher mit einer Aktentasche in die Schule, die kaum Zusatzballast zulässt. Somit bin ich gezwungen, mich auf die absoluten Basics zu beschränken. Ich kann gar nicht anders. Und das ist gut so. Im Moment befindet sich darin mein Tablet, mein Notenbuch, und meine Stiftebox mit EZCast Pro-Dongle in der Tasche. Sämtliche Bücher oder mein Handbeamer sind im Schrank in der Schule und werden bei Bedarf rausgeholt. Unterwegs bin ich damit mit maximal zwei Kilo Ballast. Im Gegensatz zu den bisherigen 12 mit meiner Mega-Tasche!
- Wegen meines Rückens, der über die letzten Monate wirklich sehr zu leiden hatte, bekam ich von der göttlichen Frau Henner den Tipp eines Pultaufsatzes für den heimischen Schreibtisch – entlastet den Schulterbereich wirklich merklich, da man sich Winkel und Höhe der Arbeitsfläche individuell einstellen kann. Auch mein PC-Monitor steht dank Schreibtischaufsatz ein paar Zentimeter höher, sodass ich auch beim Arbeiten meistens aufrecht sitze. Um dem Rücken auch mal die eine oder andere Ruhe zu gönnen, korrigiere ich grundsätzlich mit der App Clockwork Tomato, die nach der Pomodoro-Technik nach einer gewissen Zeitspanne ein Mini-Päuschen einräumt. Genau das Richtige, um mal kurz aufzustehen, sich zu dehnen, eine Tasse Kaffee zu holen. Achja, wo wir gerade dabei sind:
- Essen und Trinken: Zu Zeiten, wo andere in Kantinen oder Mittagspausen sitzen, um mal für eine Stunde abzuschalten, stehen wir Lehrer gezwungenermaßen am Pult über Übersetzungen, Übungen, an der Tafel und damit mit einem Bein im Grab des Hungertods. Gegessen wird an Tagen, an denen man Nachmittagsunterricht hat, gerne mal zwischen Tür und Angel. Mal ein Brötchen, mal eine Butterbreze, mal ein Express-Salat to-go. Aber nie was Richtiges. So ist es zumindest bei mir. Trinken ist sogar noch schlimmer. Während des Schultages ernähre ich mich von Kaffee. Tassenweise, literweise. Zu einem Glas Wasser muss ich mich echt zwingen. Und das tue ich. In jeder Zwischenstunde. In jeder Pause.
- Vernetzung: Gemeinsam geht es einfach besser. Das ist so. Auch beim Stressmanagement. Der Austausch von Materialien und Tests sollte zur Grundausstattung im Teamwork gehören, auch beim Nutzen von neuen Methoden oder analogen/digitalen Tools kann man untereinander viel mehr lernen, als wenn sich jeder einzelne das Wissen separat antrainieren muss. Aus diesem Grund haben wir uns seit diesem Jahr im Dreierteam einen digitalen Schulaufgaben-Pool erstellt, aus dem man sich nach Belieben bedienen kann – vorausgesetzt man trägt auch selber etwas dazu bei.
- Schulentwicklung: Da das Thema Stress aufgrund von Fehlern in der Kommunikation und bürokratischen Abläufen oft unangenehm verstärkt wird, haben sich dieses Jahr ein paar Tapfere zur Schulleitung begeben, um ein paar Anmerkungen und Verbesserungsvorschläge zu machen. Ergebnis: Ein AK, in dem sich das Kollegium regelmäßig trifft, um die akuten Stressherde zu entlarven, zu beraten und an einer Lösung zu arbeiten, die sich auf entsprechenden Schultern verteilt.
Ob durch diese Dinge der Stress spürbar abnehmen wird, kann ich erst in ein paar Monaten sagen. Aber alleine das Gefühl, dieser Last nicht hoffnungslos ausgesetzt zu sein und tatsächlich selber etwas daran verändern zu können, gibt ein gewisses Gefühl an Kontrolle zurück. Kontrolle, die wir in Hochzeiten vielleicht aus den Augen zu verlieren drohen.
Habt auch ihr weitere Empfehlungen?
15 Comments
Hauptschulblues
Die Belastungen bleiben, da habe ich keinen Tipp.
Ich war aber die letzten 8 Jahre in einer Supervisionsgruppe mit anderen Schulleitungen, ich kann das nur empfehlen. Die Gruppe läuft noch weiter, aber mittlerweile ohne mich.
herr_mess
Sowas haben wir zum Beispiel überhaupt nicht an der Schule. Dürfte aber mittlerweile bitter notwendig sein. Danke für den Tipp!
Hauptschulblues
Muss man sich übrigens selbst organisieren und bezahlen.
Das Kollegium läßt sich übrigens seit über 10 Jahren supervidieren.
afn
Hier in Mittelfranken bietet die Schulberatungsstelle auch Supervisionsgruppen für Lehrer an. Die Schulberatungsstellen haben übrigens auch jemanden (und einen kleinen Etat) für die “Lehrergesundheit”. Vielleicht lohnt es sich, einfach mal bei der zuständigen Schulberatungsstelle nachzufragen.
Eine andere Form wäre Kollegiale Fallberatung, das ist eher eine Art Intervision.
Carl
Mir hat es enorm geholfen, meinen alten Schreibtisch durch einen Bausatz (Elektromotoren und Schalter) in der Höhe variierbar zu machen, sodass ich sogar im Stehen arbeiten kann. Mein Rücken dankt es mir jeden (Korrektur-)Tag! Ganz billig war das ganze zwar nicht (ca. 400 EUR), aber ein gesunder Rücken war es mir wert.
herr_mess
Guter Tipp: Wie ging das nochmal mit der Ermittlung der optimalen Tischhöhe?
spreewaldperle
Im Sinne des Bewegungsapparats habe ich nun eine Osteopathin aufgesucht bzw. werde diese nun regelmäßig besuchen. Zudem Schwimmsport – auch gut für die Nerven. 😉
Hauptschulblues
Osteopathin ist ganz gut. Zu meiner gehe ich schon 19 Jahre!
herr_mess
Was machen die denn eigentlich genau bei einer Behandlung?
herr_mess
Ich hab schon regelmäßiges Training im Fitness und gehe laufen. Die ollen Verspannungen im Rücken gehen davon allerdings nicht weg 🙁
Peter Ringeisen
An dieser Stelle beinahe unvermeidlich: ein Hinweis auf Robert Gernhardts Gedicht “Mein Körper”.
lilohenner
Deutlich zur Entlastung hat beigetragen, dass ich SEHR viel Material in der Schule lasse. Das hat folgende Effekte:
– Ich nutze konsequent Freistunden, um meinen Unterricht vorzubereiten, das Material ist ja da und zuhause ist es eben nicht da. Das zwingt zur Ökonomie. Und zuhause habe ich merklich weniger zu tun.
– Ich schleppe nicht mehr die Kilos mit mir rum – früher oft sogar sinnlos, weil dann doch nicht gebraucht. Das ist auch möglich, seit dem wir ein besseres Lehrwerk angeschafft haben und ich meist mit dem Buch arbeite.
– Zuahuse ist dann tatsächlich meist Freizeit – wenn man das erst einmal im Kopf hat, entspannt man auch schneller.
Meine Tischkollegen haben sich sogar auch daran gewöhnt, dass an unserem Tisch nur meinetwegen wenig Platz ist.
herr_mess
Einen Großteil deiner Liste hab ich ja fast schon erledigt 🙂 Klingt so, als sei ich auf dem richtigen Weg!
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